3. Rettungskonzept für den Fernbahntunnel

Fachtechnische Bewertung des Brandschutzes in der Machbarkeitsstudie der Deutschen Bahn zum Fernbahntunnel Frankfurt a.M.

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3.1 Inhaltliche Zusammenfassung der DB-Studie

Tunnelvariante Vorteile Nachteile
1: eine zweigleisige Tunnelröhre (ohne Y-Trasse im Osten) – einfaches Rettungs- und Lüftungssystem

– großer Querschnitt erleichtert Intervention und verraucht langsamer

– (geringere Baukosten der Lüftung und der zugehörigen Lüftungskanäle)*

– längere Fluchtwege (bis zu 1.000 m)

Gefährdungen am Nachbargleis sind möglich

– Beeinflussungen der Oberfläche (durch die Notausgänge ins Freie)

– Einstellen der Strömungsverhältnisse im Brandfall ist weniger gut steuerbar als bei eingleisigen Tunneln

2: zwei eingleisige Tunnelröhre – einfaches Rettungs- und Lüftungssystem

– kurze Fluchtwege (≤ 500 m)

– keine Gefährdung am Nachbargleis möglich (keine Folgeereignisse am benachbarten Gleis)

– Brandfalllüftung gut steuerbar

– kleiner Querschnitt (verraucht schneller, weniger Platz für Intervention)

– kleiner Querschnitt (verraucht schneller, weniger Platz für Intervention)

– Herstellung der Befahrbarkeit im Bf.-Bereich erfordert Sonderlösungen (Weichen, Bahn­steige)

3. ein zweigleisiges Tunnelsystem mit Y-Trasse im Osten – einfaches Rettungs- und Lüftungssystem

– großer Querschnitt erleichtert Intervention (und verraucht langsamer)

– (geringere Baukosten der Lüftung inkl. Lüftungskanäle)*

– längere Fluchtwege (bis zu 1.000 m)

– Beeinflussungen der Oberfläche durch Notausgänge

– Einstellen der Strömungsverhältnisse im Brandfall weniger gut steuerbar (als bei eingleisigen Tunneln)

– Gefährdung am Nachbargleis möglich

4a. zweigleisiges Tunnelsystem mit Y- Trasse im Osten, nördlicher Ast mit zwei eingleisigen Tunnelröhren – großer Querschnitt erleichtert Intervention und verraucht langsamer – relativ komplexes System (System­kombination);

längere Fluchtwege (bis zu 1.000 m)

– Gefährdung am Nachbargleis möglich

– Beeinflussungen der Oberfläche (NA ins Freie)

Lüftungsmaßnahmen für die eingleisigen Fahrtunnel sind erforderlich

– östliche Querschläge mit großen Höhen­unterschieden (erfordert Speziallösungen, Treppen)

4b. Variante Rettungsschächte als NA statt Querschläge – einfaches System (keine Befahrbarkeit)

– großer Querschnitt erleichtert Intervention (und verraucht langsamer)

– Notausgänge alle 500 m im eingleisigen Fahrtunnel führen direkt ins Freie

– keine Strahlventilatoren im eingleisigen Bereich erforderlich

– (geringere Baukosten der Lüftung inkl. Lüftungskanäle)*

– Teils längere Fluchtwege (bis zu 1.000 m)

– Gefährdung am Nachbargleis im zwei­gleisigen Bereich möglich

– Beeinflussungen der Oberfläche (NA ins Freie)

5. und 6. zwei eingleisige, parallele Tunnelröhren mit Y- Trasse im Osten, beide Äste ebenso als eingleisige Tunnel – kurze Fluchtwege (<500m)

– keine Gefährdung am Nachbargleis

– keine Lüftungsmaßnahmen im eingleisigen Fahrtunneln erforderlich

– komplexes System (insbes. Befahrbarkeit)

– Befahrbarkeit im Bf. schwierig (Weichen, Bstg)

– östliche Querschläge mit großen Höhenunter­schieden (erfordert Speziallösungen, Treppen)

– kleinerer Querschnitt (verraucht schneller, wenig Platz)

Tabelle: eigene Zusammenstellung der Tabellen 8 bis 13 der DB-Studie. Die grau hinterlegten Flächen sind identisch mit den Inhalten dieser Einzeltabellen.

Als Ergebnis der DB-Studie wird eine Lösung kommuniziert, die auf den Varianten 5 und 6 basiert, d.h. durchgehend zwei eingleisige Tunnelröhren. Die Unterschiede zwischen den Varianten 5 und 6 bestehen hierbei nur darin, dass die genaue Lage des Tiefbahnhofes noch nicht festgelegt ist (entsprechend einem Verlauf unterhalb der derzeitigen Hbf-Gleiskörper 1 bis 6 oder unterhalb der Mannheimer Straße). Demgemäß ergeben sich Verschiebungen bei Anzahl (15 oder 16) und Lage der Notaufgänge.

Zwischenzeitlich wird aber auch eine andere Lösung diskutiert, die nicht in der DB-Studie aufgeführt ist. Um die Kreuzungen im Osten mit zweigeschossiger Ausführung zu vermeiden, müssten vier Tunnelröhren vom Osten zum Hauptbahnhof geführt werden. Damit ergäbe sich aber eine komplexe Verzweigung direkt am Hauptbahnhof, die sich als betriebliche Störquelle erweisen könnte. 1

Nachfolgend sind die in der DB-Studie enthaltenen Abbildungen der Tunnelvarianten zusammenhängend zwecks besserer Übersicht dargestellt.2

Variante 1: (Abb. 71) eine zweigleisige Tunnelröhre (ohne Y-Trasse im Osten)

Variante 2: (Abb. 72) zwei eingleisige Tunnelröhre

Variante 3: (Abb. 73) ein zweigleisiges Tunnelsystem mit Y-Trasse im Osten

Variante 4a: (Abb. 74) zweigleisiges Tunnelsystem mit Y- Trasse im Osten, nördlicher Ast mit zwei eingleisigen Tunnelröhren

Variante 4b: (Abb. 75) Variante Rettungsschächte als Notausgänge statt Querschläge

Variante 5: (Abb. 76) zwei eingleisige, parallele Tunnelröhren mit Y- Trasse im Osten, beide Äste ebenso als eingleisige Tunnel

Variante 6: (Abb. 77) wie vor, jedoch Verschiebungen bei Notausgängen durch andere Lage des Tiefbahnhofes

3.2 Bewertung

Anmerkungen zu den Variantendarstellungen

Wie im Abschn. 6.4 der DB-Studie beschrieben, soll der Rauch im Tunnel durch Einblasen von Frischluft vom jeweiligen Lüftungsbauwerk Ost bzw. West aus über die Tunnel-Ausgänge abgedrängt werden. Das stellt eine zwar kostengünstige, gleichwohl aber untaugliche Lösung der Tunnel-Entrauchung dar, wie nachfolgend dargelegt wird.

Dazu wird beispielhaft auf die Variante 6 (Abb. 77) verwiesen. Darin wird ein Brandfall im Ostabschnitt einer eingleisigen Tunnelstrecke zwischen den Querstollen NA 13 und NA 14 behandelt. Gezeigt wird, wie der entstehende Rauch durch Einblasen von Frischluft vom Lüftungsbauwerk Ost aus zum Tunnelausgang ins Freie abgedrängt wird. Die Darstellung zeigt weiterhin, wie Flüchtende über den Rettungsstollen NA 14 in die Gegenröhre gelangen, wo sie von Bussen aufgenommen und in Sicherheit werden.

Allein schon aus dieser Darstellung geht hervor, dass die vorgesehenen Maßnahmen die Selbstrettung nicht gewährleisten können: Der Fluchtweg in der Ereignis-Röhre zum Rettungsstollen NA 14 liegt im verrauchten Bereich und ist somit nicht nutzbar; die Zuginsassen aus dem hinter dem Brandherd liegenden Abschnitt des Zuges haben keine Möglichkeit sich in Sicherheit zu bringen. Das trifft auch auf alle anderen untersuchten Varianten zu.

Die DB-Studie stellt den Sachverhalt der Selbstrettung bei einem schweren Brand-Ereignis im Tunnel nur stark vereinfacht, unvollständig und fehlerhaft dar. Es wird darin ein statisch-stationärer Zustand zugrunde gelegt, der wirklichkeitsfremd ist. Tatsächlich sind das Brandgeschehen und die zu dessen Bekämpfung eingeleiteten Maßnahmen ein höchst komplexer und sehr dynamisch verlaufender Vorgang, wie auch aus den in der Anhang 2 dargestellten Einsatz-Ablauf-Diagrammen ersichtlich wird.

Kapazität der Züge in den Tunneln und im Tiefbahnhof

Die DB-Studie macht keine definitiven Aussagen zum geplanten Rollmaterial. Für die Evakuierung des Tiefbahnhofs wird mit ICE-Zahlen gerechnet, allerdings auf eine merkwürdig regelwidrige Weise (siehe unten). Insbesondere wird aber an keiner Stelle ausdrücklich ausgeschlossen, dass auch Regionalverkehrszüge in den Tiefbahnhof einfahren. Vielmehr wird dies im dritten Gutachterentwurf des Deutschlandtaktes schon geplant. Stündlich soll der „HeEx 5“ die Linie von Wiesbaden über Frankfurt Tief über Hanau bis nach Bebra bedienen.3 „HeEx 5“ entspricht der heutigen Linie „RE 50“ inklusive einer Verlängerung nach Wiesbaden. Für die Linie RE 50 wurden jüngst neue Züge des Typs Alstom Coradia Stream HC bestellt, die als fünfteilige Kompositionen in Doppeltraktion insgesamt 1.080 Sitzplätze4 und eine Gesamtlänge von 262,8 m Länge5 haben werden. In den ebenfalls jüngst bestellten Coradia Stream HC-Zügen für Stuttgart kommen zu 380 Sitzplätzen noch 539 Stehplätze hinzu.6

Damit kommen für die Frankfurter Züge zu den 1.080 Sitz- noch 1.532 Stehplätze hinzu. Es werden also in Frankfurt „Fernbahn-“Tunnel Züge mit bis zu 2.612 Passagieren unterwegs sein. Zwei Zugbegleiter und ein Lokführer hinzugerechnet ergeben für die Evakuierung im Brandfall maximal 2.615 Personen. Dies steht in starkem Widerspruch zu den in der DB-Studie maximal angesetzten 1.730 Personen wie auch zur Fahrplanstudie (siehe unten7), d.h. es ist die 1,5-fache Personenzahl anzusetzen. Dabei ist mittelfristig mit noch höheren Kapazitäten zu rechnen, da alle 11 Bahnhöfe der Linie schon jetzt Regionalzüge mit 318 m Länge aufnehmen könnten. Lediglich in Bad Soden-Salmünster müsste statt dem anstehenden Rückbau der Bahnsteiglänge von 290 m auf 280 m8 ein Ausbau auf rund 320 m erfolgen.

Bauliche Sicherheitsstandards

Wie zuvor dargestellt wird der Fernbahntunnel Frankfurt auch mit Regionalverkehrszügen mit bis zu 2.615 Personen befahren werden. Das ist fast das dreifache der rund 909 Personen eines ICE, dem üblichen Zugtyp in langen Tunneln. Nur in den Tunneln von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm können mit bis zu 3.681 Insassen noch mehr Personen unterwegs sein. Der Fernbahntunnel hat das gleiche Höhengefälle zur Einfahrt in den Tiefbahnhof wie bei den Stuttgart 21-Tunneln. Gleich sind auch die Abstände zwischen den Rettungsstollen mit dem max. zulässigen Wert von 500 m konzipiert. Das ist viel zu groß im Vergleich zu internationalen Vergleichstunneln. Zudem ist die Rettungswegbreite mit 1,4 m nahe dem Minimalwert.

Der Fernbahntunnel wird damit der gefährlichste Tunnel-Neubau nach den S21-Tunneln mit einem Risiko auf Höhe der Tunnel der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Er wird knapp dreimal so lange Evakuierungszeiten haben wie die Doppelröhren-Tunnel der Neubaustrecken Erfurt-Halle/Leipzig und Karlsruhe-Basel (siehe dazu auch Anhang 5).

Wesentlichen Anteil daran haben neben der hohen Passagierzahl in den Regionalzügen die nur 1,4 m breiten Rettungswege. Sie könnten rund 2 m Breite aufweisen, wenn nicht eine große „Auffahrttoleranz“ und ein großer „Bautechnischer Nutzraum“ von je 0,3 m vorgehalten würden.

Die nachfolgende Planzeichnung aus der DB-Studie wurde für die Wiedergabe hier mit Vermaßungen und Schattierungen versehen. Sie zeigt gelb hinterlegt den schmalen Rettungsweg. Es ist nicht zu verantworten, dass in den ohnehin engen Doppelröhrentunneln auch noch der Rettungsweg durch unnötig große Toleranzen, Einbauten und teils sogar durch den Handlauf künstlich verengt werden. Hier ließe sich mit geringen Mitteln viel für die Sicherheit im Evakuierungsfall gewinnen. Die Auffahrttoleranz erscheint ungewöhnlich groß und sollte verringert werden können. Die Installationen der Löschwasserhydranten und Notrufsäulen nutzen idealerweise die Ausbauchung der Tunnelröhre. So könnte eine hindernisfreie Rettungswegbreite von 2 m nutzbar gemacht werden.

Die Grafik aus der DB-Studie, Anlage 5 Querschnitte: „Regelquerschnitt 1-gleisiger Tunnel, Geschlossene Bauweise“ (Datei „05_01_RQ_1-gleisiger_Tunnel_geschlossene_BW.pdf“- um Maße und Schattierungen ergänzt).
Schraffiert dargestellt sind auf 0,76 m erhöhte Bankette, die einen schnellen Ausstieg fördern, den ersten Rettungsweg auf 2,5 m verbreitern und auf der Rückseite des Zuges einen zweiten Rettungsweg schaffen könnten. Vor der Banketterhöhung werden hier 59 m² freier Querschnitt ausgemessen.
Achtung! Möglicherweise sind die Tunnel laut DB-Studie noch deutlich enger geplant, Dort wird auf Seite 46 ein Radius von nur 4,4 m und ein freier Querschnitt von nur 52,7 m² angegeben.

Skizziert ist auch eine Erhöhung der Bankette auf die 76 cm Höhe der Bahnsteige im Tiefbahnhof. Damit ist in den Regionalzügen der Ausstieg ebenerdig und für die ICEs so wie im Bahnhof. Das unterstützt einen schnellen und gefahrlosen Ausstieg. Es ergibt sich auch ein um 50 cm verbreiterter erster Rettungsweg. Auf der anderen Tunnelseite ist bisher nur ein rund 85 cm breiter Serviceweg vorhanden, der nicht als Rettungsweg nutzbar ist. Wird auch dort das Bankett erhöht und darauf geachtet, dass die Einbauten den Laufweg darüber aussparen, wäre dort ein zweiter Rettungsweg mit rund 2 m Breite herstellbar (hellgelb schattiert). Damit könnten die Reisenden den Ereignisbereich sehr viel schneller verlassen. Damit diese Vorteile wirksam werden, müssten aber auch die Fluchttüren in der Breite etwa verdoppelt werden. In der Praxis würde dann der Zugang zu einem Querstollen über zwei Fluchttüren á 2 m Breite erfolgen. Damit ließe sich die Evakuierungszeit etwa halbieren. Diese Maßnahmen sind absolut angebracht, angesichts der mit 2.612 Passagieren nahezu verdreifachten Personenkapazität der Züge gegenüber den sonst in langen Tunneln verkehrenden Fernverkehrszügen wie einem vollbesetzten ICE mit 900 Passagieren.

Die erhöhten Bankette im Tunnel sind international weit verbreitet. Eine durchgehend flache Tunnelsohle hat wenig Nutzen, da auch dort schwere Fahrzeuge ohnehin nicht wenden können, weil die Zufahrt ohnehin in der freien, unbetroffenen Röhre und der Zugriff der Feuerwehr dann über die Querstollen in die Ereignisröhre erfolgt. Die Tunneldurchfahrt mit den 2,55 m breiten LKW auf dem rund 3,5 m breiten Gleisbett ist problemlos möglich. Ein flacher Tunnelboden hat allenfalls Vorteile bei der Räumung des ausgebrannten und abgekühlten Zuges, für die deutlich wichtigere Selbstrettung der Fahrgäste ist der flache Tunnelboden aber ein Hindernis. Wenn bei der Evakuierung durchgesagt wird, dass mobilitätseingeschränkte Personen in Richtung Rettungsweg 1 aussteigen, können die mobileren Reisenden von Rettungsweg 2 falls nötig den 76 cm tiefen Graben ohne große Probleme queren.

Brandgasausbreitung im Tunnel

Bei einem zugrunde liegenden „DB-Bemessungsbrand für S-Bahnen und gemischten Reisezugverkehr9 wird eine Brandlast von 53 MW angesetzt.10 Dabei entstehen 155 m³ pro Sekunde hochgiftige Rauch- und Brandgase bzw. 9.300 m³ je Minute. Die Temperaturen der Brandgase können am Brandherd bis zu 2.000 °C betragen. Durch thermischen Auftrieb steigen diese zunächst bis zur Tunneldecke auf. Weil sie hier nicht weiter nach oben ins Freie entweichen können, breiten sich diese sehr rasch im Tunnel nach beiden Seiten aus. Durch Abkühlung an den zunächst noch kalten Tunnelwänden wie auch durch Einmischen von kälterer Luft aus dem Tunnel sinken die Rauch- und Brandgase auch nach unten und füllen dabei den gesamten freien Tunnelquerschnitt mitsamt den Fluchtwegen. Damit erreichen sie die Flüchtenden, die dann darin bereits nach mehreren Atemzügen ersticken. Im Nahbereich des Brandherdes bei höheren Temperaturen ≥ 50 °C droht zudem der Hitzetod.

Mit der Erhöhung des Bemessungsbrands auf 53 MW geht aber auch eine extreme Verzögerung der Brandkurve einher.11 Demnach erreicht der Brand in den ersten 15 Minuten noch keine nennenswerte Stärke im Unterschied zu international gültigen Modellkurven mit Vollbrand nach 5 Minuten, die auch mit der sogenannten „EBA-Kurve“ in Deutschland noch bis 2010 gültig waren und mit Brandversuchen verifiziert wurden.12

In Deutschland werden 15 Minuten Zielzeit für die Evakuierung angesetzt,13 sogar auch pauschal für Tunnel14. Ein solcher Wert hatte möglicherweise seine Berechtigung zu Zeiten von Doppelgleistunneln mit einem freien Querschnitt von rund 100 m², diese Evakuierungszeit ist jedoch keinesfalls mehr hinreichend für enge Doppelröhren-Tunnel wie den Frankfurter Fernbahntunnel mit 52,7 m² oder 59 m² freiem Querschnitt (gemäß der o.a. grafischen Darstellung). Typische Verrauchungszeiten vergleichbarer Tunnel liegen zwischen 5 und 8 Minuten, womit sich typische Evakuierungszielzeiten von 4 bis 7 Minuten ergeben (siehe Tabelle mit Zielzeiten in Anhang 5). Daher sollte für den Fernbahntunnel als Doppelröhrentunnel eine Evakuierung in weniger als höchstens 10 Minuten ermöglicht werden.

Reale Evakuierungszeiten

Die Gewährleistung der Selbstrettung in einen temporär sicheren Bereich ist bei dem favorisierten Tunnelkonzept nicht möglich. Hierbei wird eine schnellere Verrauchung in Kauf genommen, die sich gegenüber einem zweigleisigen Tunnel ergibt. Ein zweigleisiger Tunnel hat jedoch den gravierenden Nachteil, dass hierbei keine Querschläge zu dem parallel verlaufenden zweiten Bahntunnel möglich sind.

In der Praxis wurde für die Notfallevakuierungen auf freier Strecke am 12.10.2018 bei Montabaur mit 500 Fahrgästen eine Räumzeit von 45 Minuten benötigt. Erfolgte Tests mit Notfallübungen in ICE-Tunneln wie am 11.3.2017 auf der ICE-Strecke Nürnberg – Erfurt sind unzureichend dokumentiert bezüglich der zugrunde liegenden Parameter.15 Eingeschränkt vergleichbar sind solche Tests auch deshalb, weil je nach gewählter Variante des Fernbahntunnels in Frankfurt sich völlig andere Voraussetzungen für eine Übertragbarkeit ergeben. (Näheres in Anhang 4: Ausbreitung von Brandgasen im Tunnel.)

Für den Aufbau von Vertrauen in den Brandschutz der neu gebauten Doppelröhren-Tunnel trägt auch nicht bei, dass die DB neuerlich sehr restriktiv mit Evakuierungsübungen in den Tunneln ist. So wurden zuletzt bei den Brandschutzübungen zur Neubaustrecke Wendlingen-Ulm im Unterschied zur Vergangenheit Pressevertreter nicht mehr zugelassen und für die Feuerwehr wurde ein Maulkorb sowie ein Fotografierverbot verhängt,16 Akteneinsichtsgesuche zu den Übungen werden abgelehnt.

Die Zeitdauer für die Evakuierung im Tunnel wird vor allem von vier Parametern bestimmt:

  1. Personenzahl
  2. Breite des Rettungswegs neben dem Zug
  3. Abstand der Fluchttüren
  4. Breite der Fluchttüren in die Rettungsstollen (siehe Anhang 4 bis 6).
Szenario

DB-Studie

Radius Quer-schn. Param.
2
Param. 3 Param.

4

Zeitdauer
Worst Case 1
Zeitdauer
Worst Case 2

Planzeichnung

4,65 m

59 m²

1,7(1,4)m

500 m

2 m

25,1 Min.

25,2 Min.

DB-Studie S. 46

4,4 m

52,7m²

1,5(1,2)m

500 m

2 m

27,6 Min.

29,0 Min.

Plan+Bankett

4,65 m

59 m²

2,5+2 m

250 m

2+2 m

10,0 Min.

Evakuierungszeiten im Fernbahntunnel nach NFPA 130 für drei Szenarien mit je 2.615 Insassen pro Zug und den Tunnelparametern lt. Plan bzw. S. 46 der DB-Studie, die Rettungswegbreiten sind (teils durch Einbauten verengt). Nur mit erhöhten Banketten, doppelten Fluchttüren und halbiertem Abstand der Rettungsstollen ist eine Evakuierung in 10 Minuten erreichbar.

Für den Fernbahntunnel wird nun die Evakuierung ähnlich dem Tiefbahnhof nach NFPA 130-Standard berechnet (siehe obige Tabelle). Angesetzt wird der klassische Worst Case“, also der Fall, dass ein Zug mit dem brennenden Ende vor einem Rettungsstollen zu stehen kommt. Die Reisenden müssen dann auf dem engen Rettungsweg-Korridor neben dem Zug erst den Ereignisbereich verlassen. Nach dem Zugende können sie sich über den Tunnel verteilen, um sich dann durch die Fluchttür und den Rettungsstollen in die sichere zweite Tunnelröhre zu retten.

Für den Fernbahntunnel ergibt sich wie für andere deutsche Doppelröhrentunnel ein zweiter noch gefährlicherer Worst Case. Und zwar dann, wenn der Zug mit seinem freien Ende neben einer Engstelle hält, die typischerweise kurz vor einem Rettungsstollen liegt. Wenn er dann am hinteren Zugende brennt, müssen sich alle Insassen durch den Engpass hindurch zwängen. Diese Zeit ist in der Regel deutlich länger als bei dem längeren Weg durch den freien Tunnel im ersten Worst Case. Es ergeben sich schlimmstenfalls 25 bis 29 Minuten Evakuierungszeit. Dabei wurde mit der üblichen Reaktionszeit von 2 Minuten und zurückhaltend geschätzten 0,4 Minuten Zeit bis zur Staubildung am Zugende gerechnet.

Unter der Voraussetzung der günstigeren Parameter laut Planzeichnung und den vorgeschlagenen Maßnahmen einer Erhöhung der Bankette (dadurch auch Schaffung eines zweiten Rettungswegs hinter dem Zug), doppelten Fluchttüren und halbiertem Abstand der Rettungsstollen werden 10 Minuten Evakuierungszeit erreicht (siehe Tabelle mit Evakuierungszeiten nach NFPA 130 in Anhang 6). Der Engpass wurde hier beseitigt, so dass der „Worst Case 2“ entfällt.

Es sind also erhebliche Anstrengungen nötig, um für die vielen Personen eines Regionalzugs im Fernbahntunnel ein akzeptables Sicherheitsniveau zu erreichen.

Löscheinsatz der Feuerwehr

Für die Löschwasserversorgung in den Tunneln sind Trockenleitungen mit Hydranten im Abstand von max. 300 m zur Wasserentnahme entlang der Tunnelstrecken vorgesehen.17 Die jeweils günstigste Entnahmestelle muss im Brandfall ebenso identifiziert werden wie die Einspeisestelle, die sich in der Regel neben einem geländeseitigen Notausgang befindet. Bereits dadurch ist deren Nutzen fragwürdig, vor allem aber wegen der langen Zeitdauer, die im Einsatzfall zur Befüllung mit Löschwasser notwendig ist. Dazu eine Beispielrechnung:

Eine 2,5 km lange Löschwasserleitung DN 100 hat einen Wasser-Inhalt von 22 m³. Das Befüllen der Löschwasserleitung mit der Standard-Löschwasser-Pumpe für einen Arbeitsdruck von 6 bar der Feuerwehr mit einer Förderleistung von 850 l/Min. dauert 26 Minuten! Rechnet man die Zeitspanne zum Anschließen der mobilen Pumpe an die Löschwasserleitung und die Anfahrzeit der Feuerwehr bis zum Tunnelportal bzw. dem geländeseitigen Notausgang von 15 Minuten hinzu, so würden bereits 45 Minuten ab Eingang der Alarmierung vergangen sein .

Nicht eingerechnet sind hierbei folgende erschwerende Faktoren:

  • Bei einem Brand an der elektrischen Anlage des ICE muss Löschschaum anstelle von Löschwasser eingesetzt werden.

  • Bei einem schweren Brand ist es aufgrund der räumlichen Enge im eingleisigen Tunnel und der starken Hitze-Einwirkung kaum möglich, nahe genug an den Brandherd heran zu kommen.

Das Feuer wird schließlich von selbst erlöschen, wenn alles Brennbare aufgezehrt ist. Die dabei verursachten schweren Schäden am Tunnel-Bauwerk machen dann eine monatelange Instandsetzung erforderlich. Während dieser Zeit ist dort kein Zugverkehr mehr möglich.18

3.3 Bauliche Alternativen

Unterstützung der Evakuierung

Um eine sichere Entfluchtung aus einem brennend im Tunnel liegengebliebenen Zug zu ermöglichen, müssten die Abstände zwischen den einzelnen Rettungsstollen (Querschläge) auf „Best Practice“-Standards verringert werden. Bei einem Abstand von 250 m wäre ein weiterer Rettungsstollen zwischen je zwei der im Abstand von 500 m geplanten Querschläge erforderlich. Damit würde die längste Fluchtwegstrecke entsprechend halbiert und eine Entfluchtungszeit von unter 10 Minuten ermöglicht, wie in der o.a. Tabelle dargestellt.

Wenn sich die Fluchtwege im Tunnel auf Höhe der Gleise befinden, die Türen der Wagen hingegen sind jedoch auf Bahnsteighöhe, so wird das Verlassen des Zuges im Tunnel erheblich erschwert. Die Überwindung des Höhenunterschiedes von ca. 0,9 m ohne Leiter oder Trittstufen ist vor allem für Ältere kaum zu schaffen; für mobilitätseingeschränkte Personen ohne fremde Hilfe sogar ein unüberwindbares Hindernis.

Weitere bauliche Maßnahmen wären:

Ein dritter Fluchttunnel bietet eine sicheren Rettungsweg unabhängig von der zweiten Röhre, in der der Verkehr erst gestoppt werden muss (siehe z.B. zweite S-Bahn-Stammstrecke München, Eurotunnel, Bohai Tunnel).19

Rettungsschächte an die Oberfläche ermöglichen kurze Rettungswege ggf. anstelle von Querschlägen, was jedoch in der Frankfurter Innenstadt schwer realisierbar ist.

Unterstützung der Entrauchung

Hierfür sind mehrere zusätzliche Optionen denkbar, die international auch zum Einsatz kommen:

  • Belüftungskanäle werden parallel zu den Tunneln gebaut, mit steuerbaren Einlässen, mit deren Hilfe Rauch gezielt abgedrängt werden kann.

  • Belüftungsventilatoren kommen häufig zum Einsatz, installiert im Tunnelinneren in regelmäßigen Abständen für die Rauchabdrängung im Brandfall.

  • Tunneltore werden vereinzelt eingesetzt (z.B. Gotthard-, Lötschberg Basistunnel, Guadarramatunnel), um die Rauchausbreitung abschotten zu können.

  • Rauchabzugsschächte für die schnelle Abführung von Rauch aus dem Tunnel.


Fußnoten

1 gemäß einem Bericht der FAZ, Rhein-Main-Ausgabe vom 7.3.2022

2 Abbildung 71 bis 77 von den Seiten 104 bis 111 der DB-Studie

3 BMVI, SMA und Partner AG, „Zielfahrplan Deutschlandtakt, Dritter Gutachterentwurf, Hessen“, 01.2022 https://assets.ctfassets.net/scbs508bajse/OoSLXIspTZnCK6pDNuIjQ/88603e2a3a588f0946f6c65f1e66f254/Netzgrafik_3._Entwurf_Hessen.pdf

4 04.04.2022, ÖPNV online, „Alstom liefert neue Doppelstock-Triebzüge für Main-Weser-Bahn und Kinzigtalbahn“, https://www.nahverkehr-ffm.de/2022/04/04/alstom-liefert-neue-doppelstock-triebzuege-fuer-main-weser-bahn-und-kinzigtalbahn/

6 DieFraktion, WikiReal, Aktionsbündnis gg. S21, Pressemitteilung „Verdopplung der Fahrgastzahlen mit zukünftigen Zügen überfordert den Brandschutz in den Tunneln“, 06.12.2022, http://www.kopfbahnhof-21.de/wp-content/uploads/PM-Verdoppelung-ueberfordert-Brandschutz-Fraktion-Wikireal-AB_final.pdf

7 Die 2.612 Passagiere auf 262,8 m Länge sind auch ein krasser Unterschied zu den für den „He Ex 5“ in der Fahrplanstudie der DB-Studie (S. 94) angesetzten „Flirt 3“-Zug mit rund 422 Personen auf 59 m Länge (der Signal-Blöcke und Bahnsteige kürzer belegt und weniger Fahrgastwechsel mit sich bringt).

8 09.06.2020, Stadt Bad Soden-Salmünster, Bekanntmachung „Ausbau und Modernisierung des Bahnhofs Bad Soden-Salmünster“ https://www.badsoden-salmuenster.de/fileadmin/content/BSS_Dokumente/Amtl-_Bekanntmachungen/2020/Bekanntmachung_Bahnhofsanierung_Bad_Soden-Salmuenster.pdf

10 In der DB-Studie werden dem gegenüber unter Abschnitt 6.2 / Seite 123 angesetzt: „Brandlast 50 MW (aus Vergleichsprojekten) – definiert maßgebend die Absaugmenge

12 Bundesanstalt für Straßenwesen, „Brandkurven für den baulichen Brandschutz von Straßentunneln“, 08.2009, S. 9-17 auf Eisenbahntunnel achten, S. 10 f Eureka-(ZTV-ING)-Kurve, EBA-Kurve zu Beginn identisch. Quelle: https://bast.opus.hbz-nrw.de/opus45-bast/frontdoor/deliver/index/docId/70/file/B67.pdf

13 Deutsche Bahn AG, Anwenderhandbuch „Bemes-sungsbrände für S-Bahnen und den Gemischten Rei-sezugverkehr“, 21.06.2010, S. 30: Selbstrettungsphase nach 15 Min. beendet. Quelle: https://www1.deutschebahn.com/resource/blob/1785660/eb3e9f5a9ea797bce7272dbc7450a4b7/25_Bemessungsbr%C3%A4nde-f%C3%BCr-S-Bahnen-data.pdf

14 Roland Leucker, „Underground Fire Safety in Germa-ny“ (ISTSS 2020 S. 49-64), S. 49. Quelle: http://ri.diva-portal.org/smash/get/diva2:1548288/FULLTEXT01.pdf

17 Siehe DB-Studie S. 114 bzw. Abschnitt 5.7.8

18 Beispiele: Nach einem Brand im Eurotunnel am 11.9.2008,mit 14 Verletzten und schwersten Bauwerksschäden auf 600 m Länge wurde die betroffene Tunnelröhre über fünf Monate für den Zugverkehr gesperrt. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Eurotunnel#Unf%C3%A4lle/Pannen
Nach der Katastrophe von Kaprun war die Anlage über ein Jahr lang gesperrt. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Gletscherbahn_Kaprun#Brandkatastrophe_im_Jahr_2000