Bahn-Großprojekte gestrichen – und der Fernbahntunnel?

Ein Kommentar von Karl-Heinz Peil

Welche Konsequenzen haben die Mittelkürzungen?

Die kürzlich beschlossenen Mittelkürzungen für die Bahn dürften sich zu einem Dauerthema der nächsten Wochen und Monate entwickeln, wenn man die Reaktionen und spekulativ aufgeworfenen Fragen verfolgt. Beispielhaft erwähnt seien an dieser Stelle die gemeinsame Stellungnahme von EVG, Wirtschafts- Wohlfahrts- und Klimaverbänden vom 9.2.24 und mögliche Auswirkungen auf ICE-Bestellungen der Bahn (z.B. FAZ vom 10.2.24).

In der Pressemitteilung von „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene vom 5.2.24 heißt es:

„Die Mittelkürzungen für die Bahn um 18 Mrd. Euro im Bundeshaushalt 2024 sind zum einen Ausdruck dessen, dass das Bundesverkehrsministerium der Bahn nicht die für die Verkehrswende notwendige Priorität einräumt. Dass beim Straßenbau nicht im gleichen Maß gekürzt wird, zeigt die Schlagseite der Verkehrspolitik der Ampel.
Die Mittelkürzungen für die Bahn bieten aber zugleich die Chance, sich endlich und endgültig von den prestigebehafteten Hochgeschwindigkeits-Megaprojekten mit hohen Investitionskosten, extrem langen Bauzeiten und zweifelhaftem Nutzen zu verabschieden.“

In der PM folgt eine Auflistung von 11 Großprojekten, die durch kostengünstigere Projekte mit kürzeren Realisierungszeiten zu ersetzen seien. Dazu gehört auch der Fernbahntunnel Frankfurt.

Die Deutsche Bahn schreibt in einer Stellungnahme vom 7.2.24 auf der Projekt-Homepage zum Fernbahntunnel Frankfurt:

„Die Deutsche Bahn (DB) hält unverändert an ihren Aus- und Neubauvorhaben fest. Eine Streichung einzelner Projekte ist nicht vorgesehen, stellt der Konzern angesichts aktueller Berichterstattung klar. Fakt ist, dass es aufgrund der schwierigen Haushaltslage Ende vergangenen Jahres kurzfristig erforderlich war, die zeitliche Abfolge der Vorhaben zu überprüfen. Projekte, die bereits im Bau sind, werden unverändert fortgeführt. Bei allen anderen Projekten werden die Planungen fortgesetzt, um zeitliche Verzögerungen zu vermeiden, bis die Finanzierung vollständig geklärt ist.“

Ergänzend dazu heißt es in einer Infomail des DB-Projektteams Fernbahntunnel vom 8.2.24:

„Aktuell laufen unsere Planungen für den Fernbahntunnel auf Basis der bestehenden Verträge mit den beauftragten Ingenieurbüros weiter.“

Aktuelle Begründungen für den Fernbahntunnel

In einem Zwei-Minuten-Video der Bahn heißt es:

„Der Fernbahntunnel trennt größtenteils den Fern- und Nahverkehr im Hauptbahnhof. … Für die Verkehrswende ist die Kapazitätserweiterung essenziell, realisierbar nur mit dem Fernbahntunnel.“

Es wird dann auf die zahlreichen Projekte des oberirdischen Ausbaus in der Region unter dem Oberbegriff „Frankfurt Rhein-Main-Plus-Programm“ verwiesen und vermerkt:

„Der Fernbahntunnel ist das verbindende Element dieses Konzeptes. Ohne ihn können die anderen Projekte ihre Leistungsfähigkeit nicht voll entfalten.“

Zur Erinnerung: Der Fernbahntunnel mit dem zusätzlichen Tiefbahnhof wurde Ende 2018 vom Bundesverkehrsministerium vorgestellt als vordringlich für die Realisierung des nur einige Wochen zuvor angekündigten Deutschlandtakts. Dieser sollte aber bereits 2030 eingeführt werden. Ein Widerspruch angesichts des Planungs- und Realisierungszeitraums von mindestens 20 Jahren für den Fernbahntunnel. Inzwischen ist jedoch der Deutschlandtakt durch das Bundesverkehrsministerium auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben worden. Unabhängig davon steht aber die Vertaktung des Fernverkehrs als Argument für den Fernbahntunnel auf schwachen Füßen, da es hierzu auch gegenteilige Expertisen gibt. Argumentativ in den Vordergrund gestellt wird von der DB InfraGo (vormals DB Netz) nunmehr in den Vorträgen von Hr. Bolte (Leiter Infrastrukturprojekte Mitte bei der DB Netz) die angebliche Notwendigkeit für die oberirdischen Ausbaumaßnahmen im Rhein-Main-Gebiet, vor allem im Osten Frankfurts. Inwieweit hier tatsächlich Abhängigkeiten bestehen, ist aber derzeit nur eine unbewiesene Behauptung. Siehe dazu auch meinen Kommentar vom 15.12.23 zur Begründung und den Kosten des Fernbahntunnels.

Dramatische Unpünktlichkeit hat andere Ursachen

Screenshot von DB-Homepage

Auf der Projekt-Homepage liest man (immer noch) unter der Überschrift: „Die Projektvorteile auf einen Blick

  • Flüssigere Verkehrsabläufe
  • Schnellerer Fernverkehr
  • Pünktlichere Züge
  • Kürzere Fahrzeit (6-8 Minuten)
  • Mehr Kapazität
Grafik entnommen aus: Bahn-Report Nr. 1/2024

Doch das aktuelle Hauptproblem der Bahn im Fernverkehr kann nicht erst in 20 Jahren, sondern muss kurzfristig gelöst werden. Zumal das dramatische Absinken der Pünktlichkeit innerhalb der letzten Jahre nicht einfach durch Netzüberlastung begründet werden kann. Eine umfassende Analyse zur Pünktlichkeitsstatistik kann man in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins Bahn-Report (Nr. 1/2024) nachlesen. Der Autor Felix Berschin verweist auf viele hausgemachte Probleme der Bahn. Diese sind eine Mischung aus organisatorischen Probleme und aufgestauten Defiziten in der Instandhaltung von Schienennetz und Fuhrpark. Auch Baustellen taugen nach Meinung des Autors kaum als Ausrede.

Brandschutz als exemplarisches Problem

Am 24. Januar erfolgte bei der DB InfraGo (vormals DB Netz) ein Hintergrundgespräch zum Thema Brandschutz mit den Verfassern der „Fachtechnischen Bewertung des Brandschutzes in der Machbarkeitsstudie der Deutschen Bahn zum Fernbahntunnel Fankfurt a.M.

Herr Nolte als Projektleiter verwies bei diesem Gespräch darauf, dass die Tunnelanbindung im Osten erst im Laufe dieses Jahres geklärt werden könne. Derzeit seien noch ca. 20 Einzelvarianten in der Prüfung. Das wären erheblich mehr, als in der Machbarkeitsstudie zugrunde gelegt. Wegen des vorgesehenen gemischten Betriebes von Nah- und Fernverkehr im unterirdischen Bahnhof rechnet man jetzt auch mit einer erheblich größeren Personenzahl, bedingt durch ein Maximum eines offenbar fest geplanten Regionalzuges HeEx5 von Fulda nach Wiesbaden mit 400 m Zuglänge und 200% Belegung durch zulässige Stehplätze.

Dieses erschwert die Festlegung des unterirdischen Bahnhofes mit den baulichen Erfordernissen, z.B. aufgrund des gegenüber der Machbarkeitsstudie erheblich zu verbreiternden Mittelbahnsteigs. Damit könnte man zwar den Anforderungen zur Entfluchtung am Gleis wesentlich besser gerecht werden, während die erhöhte Personenzahl im Tunnel die dort ohnehin wesentlich schwierigere Evakuierung im Brandfall noch problematischer macht.

Insgesamt hat dieses fachliche Hintergrundgespräch mehr Fragen aufgeworfen als vorhandene Fragen zu beantworten. Offen blieb z.B., welche baulichen Erfordernisse bzw. Zusatzaufwendungen sich bei konsequenter Anwendung vorhandener Richtlinien mit dem Ziel der Selbstrettung im Brandfall ergeben.

Was realistisch wäre

In der oben genannten Analyse von Felix Berschin wird auch auf die Probleme der Disposition verwiesen, die im Mischbetrieb von Nah- und Fernverkehr entstehen. Seine Einschätzung lautet:

„Im Ergebnis herrscht gerade im Fernverkehr auf den Mischstrecken ein ruppiges Fahren statt eines geschmeidigen Dahingleitens wie in der Schweiz. Mit letzterem kann man Zugfolgezeiten von 2 min erreichen, während in Deutschland auch 4 bis 5 Minuten selten sind“.

Hierzu muss auf den 2021 initiierten „Weckruf Bahnpolitik“ zur „Verdreifachung des Schienenverkehrs bis 2030 – Mit Takt vor Tempo für die Klimabahn“ verwiesen werden, der exakt auf diese schlummernden Kapazitätsreserven verweist. Kurz formuliert: Eine Synchronisierung von Fern-, Nah- und Güterverkehr auf derzeit überlasteten Teilstrecken im Schienennetz würde erhebliche Vorteile in der Pünktlichkeit bringen. Zwar würde der Geschwindigkeitsvorteil des ICE zu Lasten der Fahrtzeit ausgebremst, jedoch könnte dieses durch dichtere Taktfrequenzen weitgehend kompensiert werden.

Das wichtigste Kriterium, um deutlich mehr Menschen von der Straße auf die Schiene zu bringen, ist aber nicht die Reisezeit, sondern der Komfort. Derzeit können jedoch Bahnverbindungen mit notwendigen Umsteigevorgängen zwischen Nah- und Fernverkehr aufgrund der dramatisch eingebrochenen Pünktlichkeit eher stressiger als bequemer gegenüber einer Autofahrt sein.

Hinsichtlich der spezifischen Engpässe im Rhein-Main-Gebiet muss eine Abkehr von den kaum realisierbaren Versprechungen des Großprojekts Fernbahntunnel hin zu einer Optimierung im Bestand erfolgen. Dies erfordert sowohl eine Beschleunigung von schleppend verlaufenden Projekten, wie z.B. Regionaltangente West (RTW) und Nordmainische S-Bahn, als auch eine Verbesserung der Bahnsteigkapazitäten.

Letzteres wird von der Deutschen Bahn als weiteres Argument für den Fernbahntunnel vorgebracht. 24 Bahnsteige bzw. 25 mit der soeben begonnenen Ausbaumaßnahme am Hauptbahnhof seien zu wenig.

Es gibt jedoch andere Kapazitäten (z.B. Flughafen-Fernbahnhof) und zusätzliche Ausbauoptionen (z.B. Süd- und Ostbahnhof). Mit einer ergebnisoffenen Machbarkeitsstudie müssten die daraus sich ergebenden Varianten mit neuen Umsteigebeziehungen untersucht werden. Da für den Bau des Tiefbahnhofs mehrere Gleise am Hauptbahnhof für einige Jahre gesperrt werden müssten, wäre dies ohnehin (zu einem späteren Zeitpunkt für Interimslösungen) ein notwendiger Bestandteil der Planungen für den Fernbahntunnel.

Eine Merkwürdigkeit des Projektes Fernbahntunnel ist, dass bis heute kein Konzept für die Zulaufstrecken im Osten vorliegt, ebenso wenig wie für den vorgesehenen Mischbetrieb im Tiefbahnhof. Zumindest wird dies von der DB InfraGo bis heute nicht nach außen kommuniziert.

Stattdessen wird eine Hundertschaft von IngenieurInnen mit einer komplexen Planung befasst, die im letzten Jahr nach einer EU-weiten Ausschreibung als Konsortium mehrerer Ingenieurbüros beauftragt wurde. In etwa zwei Jahren soll mit der Vorlage der Entwurfs- und Genehmigungsplanung auch eine (hoffentlich) belastbare Kostenberechnung vorliegen, die mit Sicherheit weit über dem Ansatz der Machbarkeitsstudie von 2021 liegen wird. Davon wird auch abhängen, ob die Ausführungsplanung und die daran anschließende bauliche Realisierung angegangen werden. So der derzeitige Fahrplan.

Vernünftig wäre es, diese vorhandenen fachlichen Ressourcen jetzt umzulenken für eine Machbarkeitsstudie, die diesen Namen tatsächlich verdient. Das Ziel wäre dabei eine Priorisierung von praktikablen Maßnahmen nach folgenden Kriterien:

  • Umsetzungszeitraum (kurz-, mittel- und/oder langfristig)
  • Kosten und fachliche Ressourcen (inkl. Betriebskostenberechnung über kalkulatorische Nutzungszeit)
  • Betriebs- und Fahrplanqualität (Pünktlichkeit, Umstiegszeiten, Barrierefreiheit, Sicherheit für Nutzer)
  • Angebotsverbesserung (Start-/Zielverkehr, Regional- und Fernverkehr inkl. Umstiege)
  • Umweltverträglichkeit (Gesundheit, Grundwasser, Fläche und Boden, Mikroklima)

Der Bahnexperte Sven Andersen hat bereits 2020 und nachgelegt 2021 alternativ zum Tiefbahnhof mögliche Ausbaumaßnahmen am Südbahnhof beschrieben, sogar hinsichtlich des mittlerweile fragwürdig gewordenen Deutschlandtakts. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass seine Vorschläge übergangen und statt dessen von der DB Netz ein solcher Ausbau als Horrorszenario mit massiven Eingriffen in die Bausubstanz entlang des Gleiskörpers dargestellt wird. Allein für den Ausbau des Südbahnhofs gibt es zahlreiche Varianten, die nach den oben genannten Kriterien nachvollziehbar zu bewerten sind.

Das im letzten Jahr von DB Netz eingerichtete Dialogforum Fernbahntunnel wäre hierfür eine geeignete Plattform für die öffentliche Kommunikation.


Vorausgegangene eigene Beiträge zum Fernbahntunnel

Bewertung zur Machbarkeitsstudie der DB-Netz zum Fernbahntunnel (Dezember 2021)

Fachtechnische Bewertung des Brandschutzes in der Machbarkeitsstudie der Deutschen Bahn zum Fernbahntunnel Frankfurt a.M. (mit Hans Heydemann und Christoph Engelhardt – April 2023)

Kommentar zur Veranstaltung mit DB Netz am 26.5.2023

Rede bei der 667. Montagsdemo gegen S21 auf dem Schlossplatz in Stuttgart (Juli 2023)

Kommentar zur Begründung und den Kosten des Fernbahntunnels (Zusammenstellung vom 15.12.2023)