Tempo 30: Die Entschleunigung der Straße
Gegen die systematische Ausweitung von Tempo-30-Zonen gibt es erbitterten Widerstand, sogar aus dem Verkehrsministerium. Dabei gibt es viele gute Gründe, es zu tun.
von Andreas Frey
Quelle: Spektrum (11.4.2023)
Auszug: Kommunen wollen selbst über Tempolimit entscheiden
Und heute? Heute reicht es den Kommunen. Sie wollen sich nicht mehr länger vorschreiben lassen, wo sie ein Tempolimit einführen dürfen. Aktuell 560 Städte, Gemeinden und Landkreise engagieren sich deshalb in der parteiübergreifenden Initiative »Lebenswerte Stadt«, die Großstädte wie Freiburg, Köln, Leipzig und Bremen im Sommer 2021 gründeten. Damit deckt die Initiative rund 28 Millionen Einwohner ab, ein Drittel des Landes. Als die Ampelregierung die Änderung der Gesetzeslage im Koalitionsvertrag festhielt, schöpfte man Hoffnung. Doch seither stockt die Umsetzung. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) lässt nicht erkennen, dass er irgendetwas ändern will. Trotz mehrfacher Einladung habe Wissing noch nicht einmal ein Gespräch angeboten, sagt Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn. Irritiert ist man auch beim Deutschen Städtetag, der im Januar eine Resolution für Tempo 30 verabschiedete und an Wissing appellierte, den Koalitionsvertrag endlich umzusetzen.
Auszüge aus einer Studie des Umweltbundesamtes
Umweltwirkungen einer innerörtlichen Regelgeschwindigkeit von 30 km/h
Quelle: Umweltbundesamt (Januar 2023)
Seit 65 Jahren gilt in der Bundesrepublik Tempo 50 als innerörtliche Regelgeschwindigkeit. In den letzten rund 40 Jahren haben aber viele Städte Tempo-30-Zonen im überwiegenden Teil ihrer Straßennetze ausgewiesen. Darüber hinaus gibt es inzwischen zahlreiche Forderungen nach einer Änderung der innerörtlichen Regelgeschwindigkeit auf 30 km/h, um auch an Hauptverkehrsstraßen leichter Tempo 30 anordnen zu können. Die angestrebten Ziele einer niedrigeren Regelgeschwindigkeit sind vielfältig, sie reichen von einer höheren Verkehrssicherheit über geringere Umweltwirkungen bis hin zu höheren Aufenthaltsqualitäten. […]
Die Lärmbetroffenheiten sinken durch Tempo 30 in allen Städten deutlich, vor allem in den höchstbelasteten Bereichen. Im Pegelbereich über 65 dB(A) nimmt die LärmKennZiffer als Maß für die Lärmbetroffenheit um 25 bis 50 Prozent ab. Es kann aber aufgrund der stellenweise simulierten Verkehrsverlagerungen in das untergeordnete Straßennetz lokal auch zu unerwünschten Mehrbelastungen kommen.
Tempo 30 beeinflusst die verkehrsbedingten Luftschadstoffemissionen in den betrachteten Städten überwiegend leicht positiv. Die Emissionsänderungen liegen bei Stickoxiden NOx je nach Beispielstadt zwischen -9 und +2 Prozent, bei Feinstaub PM10 zwischen -1 und -10 Prozent sowie bei CO2 zwischen -2 und +3 Prozent. […]
Es ist offenbar wirkungsvoller, die innerörtliche Regelgeschwindigkeit bundesweit einheitlich zu senken als den Kommunen lediglich das Recht einzuräumen, dies auf Wunsch jeweils selbst zu tun. Darauf deutet ein Abgleich der in der vorliegenden Untersuchung erzielten Ergebnisse mit denen des UBA-Forschungsvorhabens „Flüssiger Verkehr für Klimaschutz und Luftreinhaltung“ hin. Während die vorliegende Untersuchung Tempo 30 nur in den jeweiligen Beispielstädten simulierte, hat das Vorhaben „Flüssiger Verkehr für Klimaschutz und Luftreinhaltung“ Tempo 30 auch in allen umliegenden Gemeinden innerhalb eines erweiterten Untersuchungsraums angenommen.
