Fernbahntunnel: Wohin laufen Kosten und Bauzeit?

Von Karl-Heinz Peil / 23.4.2025

Im Dialogforum der DB InfraGO wurden Ende März weitere Planungsstände für Detailbereiche des Fernbahntunnelprojektes vorgestellt. Diesmal ging es um Varianten für den Tiefbahnhof. Ebenso wie bei dem vorangegangenen Dialogforum zu den Varianten des im Osten für die Y-Anbindung notwendigen Überwerfungsbauwerkes zeigten sich dabei massive Probleme, die zu einer eindeutigen Eingrenzung der praktisch machbaren Varianten führen. Damit sind aber zugleich auch Einschränkungen für den betrieblichen Nutzen verbunden, die für manche Teilnehmer des Dialogforums schwer zu akzeptieren sind.

Nachfolgender Beitrag soll eine kompakte Übersicht des aktuellen Standes und der aufgeworfenen Probleme geben.

Die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München als Warnsignal

Um die vorhandenen Probleme umfänglich zu verstehen, zunächst ein paar kurze Infos zu dem in wesentlichen Teilen vergleichbaren Projekt in München (Quelle: Wolfgang Hesse im Alternativen Geschäftsbericht der Bahn, Seite 41 ff.)

Als Herzstück, aber auch Haupt-Nadelöhr des S-Bahn-Netzes stellte sich zunehmend die sogenannte „erste Stammstrecke“ mit dem Innenstadt-Tunnel heraus. Auf der Hand liegende Pläne, die weitgehend vorhandenen oberirdischen Bahnstrecken über den Süd- und Nordring schrittweise für S-Bahnbetrieb auszubauen wurden verschleppt und später systematisch torpediert. Stattdessen erfolgte 2016 ein Beschluss zur „2-Stammstrecke“ – parallel zum vorhandenen S-Bahntunnel, nur um mehr als 40 Meter tiefer. Dieses beruhte auf einer schöngerechneten Kosten-/Nutzen-Analyse und optimistischen Annahmen zur Bauzeit. Allen Warnungen vor unkalkulierbaren Risiken, Kostensteigerungen und Bauverzögerungen zum Trotz wurden 2017 per „Spatenstich“ die offiziellen Bauarbeiten begonnen. Angedacht war eine Fertigstellung für zunächst 2028, mittlerweile geht die Bahn von 2035 bis 2037 aus. Doch selbst dieser Zeithorizont wird mittlerweile vom Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter bezweifelt, da er nach seinen Worten kein Zutrauen mehr in die Planungen hat. Nervig ist für Münchner vor allem, dass der Hauptbahnhof durch einen notwendigen Teilabriss für lange Jahre in der Nutzung beeinträchtigt ist. Die 2. Stammstrecke verläuft mehr als 40 Meter unter der Oberfläche, was einem 13-stöckigen Hochhaus entspricht.

Nach Informationen aus dem bayerischen Landtag wird demnach gegenwärtig mit Kosten in Höhe von 9,4 Milliarden Euro kalkuliert. Das seien zwei Milliarden Euro mehr als noch 2022 veranschlagt. Ursprünglich soll das Projekt mit 3,85 Milliarden Euro beziffert worden sein.

Laut Bahn ist die enorme Teuerung des Projekts in erster Linie auf die Inflation und daraus resultierenden Baukostensteigerungen zurückzuführen. Allerdings seien auch die Kosten für das Projektmanagement und die Bauüberwachung gestiegen. Dass diese Begründung nur vorgeschoben ist, kann man aus einem BR-Bericht entnehmen (YouTube-15-Minuten-Video), wo die Probleme aufgezeigt werden, die vor allem aus der Tieflage entstehen. Häufiger kommt es im Untergrund zu Wassereintritt in Tunnelschächte und es bestehen große Unsicherheiten darüber, inwieweit kritische Fundamentabsenkungen von Bestandsbauten wie der Frauenkirche erfolgen können. Auch der Gleiskörper rund um den Hauptbahnhof wird mit einem aufwändigen Monitoring auf mögliche Absenkungen hin überwacht.

Vergleichbare Risiken in Frankfurt

Einige Faktoren sprechen für eine gewisse Parallelität. Im einzelnen können hier genannt werden:

Kostenansatz generell

In den Medien wird immer noch der Betrag von 3,6 Mrd. Euro genannt, obwohl bereits lediglich unter Berücksichtigung des aktuellen Baukostenindex ein Betrag von 6 Mrd. Euro genannt werden müsste (wie Projektleiter Nr. Nolte bei einem Vertiefungstermin des Dialogforums am 14.11.24 einräumte).

Bauzeitenplan

Klammheimlich wird die vorgesehene Verfügbarkeit des Fernbahntunnels von „Anfang der 40er Jahre“ auf einen späteren Zeitpunkt verschoben („in den 40er Jahren“). Die bisherige Planung beschränkt sich faktisch auf erweiterte Machbarkeitsstudien ohne definitive Festlegungen, wie sie für detailliertere Planungen notwendig wäre.

Projektrisiken

Hier könnte man von den o.g. Problemen beim Bau der 2. Stammstrecke in München einiges lernen, wie: Grundwasserhaltung, Monitoring zur Prüfung von Absenkungen des oberirdischen Gleiskörpers am Hauptbahnhof, Risiken mit der Baustatik der denkmalgeschützten Bahnhofshalle. Absenkungen des Gleiskörpers sind übrigens auch an ganz anderer Stelle ein Problem: Die derzeitige Bauruine Elbtower in Hamburg verursacht kritische Setzungen der angrenzenden, oberirdischen Bahnstrecken, wovor die Deutsche Bahn aber sehr frühzeitig gewarnt hatte. Ein ähnliches Projekt steht ja mit dem Campanile in der Mannheimer Straße angrenzend noch an.

Bauzeitliche Einschränkungen und Interimslösungen

Da Detailplanungen bzw. Festlegungen auf Ausführungsvarianten noch ausstehen, gibt es nach wie vor keine Aussagen der Bahn zu betrieblichen Einschränkungen, wie z.B. die Sperrung der Gleise 1 bis 5 am Hauptbahnhof und einem innerstädtischen Verzweigungsbauwerk.

Nutzen-Kosten-Verhältnis

Mit einer zu erwartenden Kostenexplosion einher gehend wird sich natürlich der mögliche Nutzen nicht erhöhen. Stattdessen wird der Nutzen für den Fernverkehr evtl. durch einen neuen Zielfahrplan für den Deutschlandtakt ohnehin relativiert. Die Bezugnahme hieraus ist bereits in der Vergangenheit recht fragwürdig gewesen.

Neue Querspange am Hauptbahnhof

Als voraussichtlich relevanter Kostenfaktor für Mehraufwendungen wurde von Projektleiter Dr. Nolte bisher nur die vorgesehene zweite Querspange unter dem oberirdischen Gleiskörper genannt. Dabei handelt es sich aber um noch überschaubare Kosten. Projektrisiken bestehen hier nur mit der notwendigen Sicherung von Absenkungen des Gleiskörpers bei den über die gesamte Bauzeit notwendiger weise verfügbar bleibenden Gleise.

Siehe auch Kartenübersicht (Openstreetbrowser)

Verbindungsbauwerk Bestandsstrecken

Das Überwerfungsbauwerk für die Y-Anbindung im Osten erweist sich als planerisch äußerst komplex. Von den vier Varianten, die am 4.11. dem Dialogforum vorgestellt wurden, kristallisierte sich als Vorzugsvariante eine Platzierung auf den Mainwasen heraus, wo im Zuge der vorher anstehenden Sanierung bzw. dem parallelen Neubau von Deutschherren- und Schlafhofbrücke ohnehin eine Baufreimachung des Geländes erfolgen muss.  Die Komplexität der vorgestellten Varianten ergibt sich aus den im Detail sehr unterschiedlichen Bewertungen für die zugrundeliegenden Kriterien Baubetrieb, Umwelteingriffe, Kosten sowie der im Ergebnis realisierbaren Flexibilität und Resilienz. Klar ist jedenfalls, dass es dabei definitiv keine wirklich gute Lösung geben kann, sondern nur diejenige mit den wenigsten Nachteilen.

Modell des 3-Röhrenkonzeptes mit Überwerfungsbauwerk im Osten

Stationskonzept

Am 31. März 2025 wurden von der DB InfraGO fünf Varianten für den Tiefbahnhof vorgestellt. Diesmal wurden fünf Varianten vorgestellt. Es ist dabei durchaus legitim, dass hierbei auch solche Varianten vorgestellt wurden, deren technische Machbarkeit nach eigener Aussage der DB InfraGO zweifelhaft ist. Allerdings unterstreicht dieses umso mehr, dass es sich hierbei eigentlich nur um eine vertiefte Machbarkeitsstudie handelt – die man eigentlich in dieser Tiefe bereits 2021 hätte vorlegen müssen. Das Ergebnis ist hierbei ähnlich wie bei dem Verbindungsbauwerk im Osten, wenngleich nicht ganz so eindeutig. Von den fünf Varianten bleiben praktisch nur drei in der engeren Auswahl. Die „Röhre“ in weitestgehend bergmännischer Bauweise ist technisch kaum machbar. „Box in Hochlage“ wäre im Endzustand am ehesten nutzergerecht, wegen der möglicherweise über längere Zeit notwendigen Sperrung des kreuzenden U-Bahn-Tunnels für die U4 und U5 aus Sicht der Stadt Frankfurt inakzeptabel. „Box in Tieflage“ und „Kombination“ würden zwar Eingriffe in das städtische Schienennetz und den Bahn-Gleiskörper reduzieren, bergen aber erhebliche Bauzeit- und Kostenrisiken durch komplexe Bauverfahren.

Letztlich werden nur mit der Variante „Box in Westlage“ diese Risiken minimiert. Als Eingriff in die städtische Verkehrs-Infrastruktur ergäbe sich hier lediglich eine zeitweise Sperrung des Hafentunnels. Allerdings wurde diese Variante bei der Vorstellung sofort von den Vertretern der Bahnkunden kritisiert wegen der sich hierbei ergebenden längeren Wegezeiten. 

Verbindungsbauwerk Bahnsteige

Noch kein Thema im Dialogforum war bisher das im Osten notwendige Verzweigungsbauwerk, um darüber ein flexible Verteilung von einlaufenden Zügen zu den vier unterirdischen Bahnsteigen zu ermöglichen. Dieses ginge nur über eine offene Baugrube und wegen der engen Bebauung in der Innenstadt praktisch nur am Willy-Brandt-Platz. Die Konsequenz wäre zumindest eine jahrelange Unterbrechung der dort verlaufenden Straßenbahnlinien (die teilweise parallel zu dem U-Bahn-Tunnel U4/U5 verlaufen). Dieses dürfte bei der Stadt Frankfurt ebenso auf Ablehnung stoßen wie die o.g. Bahnhofsvariante mit Unterbrechung des Tunnels mit den U-Bahn-Linien 4 und 5.

Würde das Verzweigungsbauwerk hingegen in den Osten z.B. an der Weseler Werft verlagert, können Probleme mit dem dort verlaufenden S-Bahn-Tunnel entstehen, dessen Unterbrechung gleichfalls ausgeschlossen werden muss.

Fazit

Mit fortschreitender Planung ergeben sich zunehmend mehr Fragen statt Antworten. Die Hauptfrage sollte sein: Warum wurden oberirdische Alternativen zum Fernbahntunnel nicht in vergleichbarer Tiefe untersucht? Stattdessen wird seitens der DB InfraGO z.B. ziemlich lapidar darauf verwiesen, dass der Ausbau des Knotens Hanau zur Entschärfung der Zubringersituation im Osten zu teuer wäre. Warum gibt es dazu keine Machbarkeitsstudie mit der Prüfung mehrerer Varianten, die von namhaften Verkehrsexperten vorgeschlagen worden sind?

Eine weitere Frage ist die, ob nicht die ganzen Prämissen des Projektes auf wackligen Füssen stehen. Dieses betrifft sowohl die anstehende Fortschreibung des Zielfahrplans für den Deutschlandtakt wie auch andere Projekte. Angeblich steht z.B. auch die Neubaustrecke Frankfurt – Mannheim zumindest bezüglich des Zeitkorridors für die weitere Planung und spätere Realisierung auf dem Prüfstand. Welche Turbulenzen sind bei der künftigen Mittelverteilung für Bestandserhaltung und Ausbau des Schienennetzes zu erwarten. Hat demnächst die Sicherung von West-Ost-Verbindungen für Panzertransporte als Teil der militärischen Infrastruktur absoluten Vorrang?

Ein schon häufig gehörte Aussage ist die: Der Fernbahntunnel ist nicht Stuttgart 21. Das mag sein – was aber ist mit den Erfahrungen der 2. Stammstrecke in München?

 

 

 

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