Der Fernbahntunnel ist nicht Stuttgart 21 – oder doch?

Zusammenfassung des Vortrages von Dr. Ing. Hans-Jörg Jäkel am 14.11.2024 im Rahmen der Veranstaltung der Initiative „Takt vor Tempo Rhein-Main“. Die redaktionelle Bearbeitung und textliche Zusammenfassung auf Basis der Video-Aufzeichnung erfolgte von Herbert Storn.

Jäkel trug aus dem Schatz seiner gesammelten Erfahrungen mit dem Projekt Stuttgart 21 vor. Er gehört seit über 10 Jahren dem dortigen Aktionsbündnis an und verwies auf Argumentationsmuster, Probleme und Risiken derartiger Mammutprojekte, die auch in Frankfurt bedenkenswert sind.

Lassen sich aus dem Problemen Analogien erkennen?

Jäkel erinnerte an Zeiten, in denen es noch vernünftige Pläne gab, nämlich den Stuttgarter Kopfbahnhof oberirdisch auszubauen (K21!).

Die 2010 erfolgte Schlichtung unter Heiner Geißler sei ein Musterbeispiel dafür, wie man Demokratie diskreditiert. Geißler habe sich bekanntlich für Stuttgart 21 ausgesprochen. Weniger bekannt oder fast vergessen sind die drastischen Einschränkungen bzw. Verbesserungen, die damit in jedem Fall verbunden sein sollten.

Von diesen wurde aber nichts (!) umgesetzt. Die drastischen Bedingungen des Schlichterspruchs stellten keine Hürde für Stuttgart 21 dar, weil sie schlicht ignoriert wurden. Und anderen sollte die Gäubahn angebunden bleiben, gegen deren Abbau gegenwärtig gerichtlich geklagt wird.

Ohne die Mithilfe von Medien wie der Stuttgarter Zeitung und des SWR hätte Stuttgart 21 es wesentlich schwerer gehabt, durchgesetzt zu werden. 10 Jahre nach der Schlichtung wurde vom Ex-Deutsche-Bahn-Vize Volker Kefer erklärt:

Wir waren überhaupt nicht darauf aus, irgendwelche Kompromisse einzugehen.“

Der damalige Stuttgarter OB Schuster setzte seine Unterschrift unter einen Vertrag, der einem abgeschlossenen Bürgerbegehren mit 67.000 Unterschriften die rechtliche Grundlage entzog.

Die Zahlenspielereien mit der „Leistungsfähigkeit“

Allen Mammut-Projekten sei gemeinsam, dass „die Leistungsfähigkeit“ hochgejubelt werde. In Stuttgart sollte ein „Stresstest“ der Bahn zeigen, dass im Tiefbahnhof 49 Züge pro Stunde möglich seien. Hinterher habe es massive Proteste gegeben, weil der Stresstest auf irrealen Annahmen beruhte: nämlich ohne Personenbewegungen!

Eine unabhängig davon vorher schon angefertigte Personenstrom-Analyse erbrachte den Nachweise für 32 bis 35 Züge pro Stunde. Der jetzige Kopfbahnhof dagegen bewältigt 37 Züge und mehr.

Der DB-Konzernbevollmächtigte Thorsten Krenz behauptete in der Öffentlichkeit, dass auf den 8 unterirdischen Gleisen auf jedem Gleis alle 5 Minuten ein Zug fahren könne, also 12 pro Stunde und 96 pro Tag für alle 8 Gleise.. „Und die Leute werden nicht rot dabei“, so Jäkel wörtlich.

Zeit- und Kostenexplosion

Laut dem damaligen DB-Vorstandsvorsitzenden Dr. Grube war der Zeit- und insbesondere der Kostenrahmen „die Sollbruchstelle“ des Projekts.
2019 sollte Stuttgart 21 fertig sein, jetzt ist die Inbetriebnahme auf 2026 verschoben. Und Jäkel bietet eine Wette an, dass Ende 2026 der Tiefbahnhof bis auf ein paar Züge nicht den Verkehr übernehmen werde.

Bei den Kosten sei es ähnlich: Laut einem Gerichtsurteil sollen die über die 2009 vereinbarten gemeinsam von Bund und Land zu tragenden 4,5 Mrd. Euro hinaus entstandenen Mehrkosten von bisher 6,5 Mrd. Euro allein von der Bahn getragen werden. (Anfang 2000 waren noch 2,6 Mrd. Euro angesetzt). Diese „Sollbruchstelle Kosten“ wird einfach zugeklebt. Sie sollte aber eigentlich verhindern, dass etwas aus dem Ruder läuft!

So, wie die Bahn es weiterlaufen lasse, zeichne sich ab, dass einem alles „unkoordiniert um die Ohren fliegt“. Als Beispiel nannte Jäkel die Probleme mit der Digitalisierung, die über Stuttgart hinaus durchaus verallgemeinerbar sind:

So werde für die Leistungsfähigkeit auf der Schiene gern der Stand der Digitalisierung bemüht. Die fresse aber wahnsinnig viele Mittel, die von den veranschlagten 4 Mrd. Euro in wenigen Jahren auf 68 Mrd. Euro regelrecht explodiert seien.

Gleichzeitig mache die Bahn den Fehler, Digitalisierung sofort zur Rationalisierung beim Personal, also zum Personalabbau einzusetzen. Tatsächlich brauche man aber parallel noch die analoge Technik, um die Güterzüge abzufertigen, die darauf angewiesen seien. Güterzüge fahren ohne analoge Technik nicht, Regionalzüge ebenfalls.

Die Stuttgarter S-Bahn dagegen setze voll auf Digitalisierung mit ETCS (European Train Control System). Die Umrüstung sollte ab November 2022 erfolgen, ist aber bis heute noch nicht erfolgt, sondern stattdessen auf 2026 vertagt!

Streckensperrungen vergraulen Fahrgäste des öffentlichen Verkehrs

So wurde die 4-gleisige Strecke Bad Cannstatt – Waiblingen für 11 Wochen gesperrt, um Kabel zu verlegen., weil man es mit der Digitalisierung übertrieben hatte und dort sonst keine Güterzüge mehr fahren könnten.

Gegen den Schlichterspruch soll auch die Gäubahn 2026 gekappt werden, wogegen jetzt auch gerichtlich geklagt wird.

Weiterer Unsinn im Rationalisierungswahn

Durch den Abbau des Abstellbahnhofs in Stuttgart dauere die Bereitstellung eines Zuges statt einer Viertelstunde jetzt eine Dreiviertelstunde. In der Hauptverkehrszeit könnten nicht alle gewünschten Züge bereitgestellt werden. Dies wirke sich auch auf die Reinigungsintervalle der Züge aus.

Dennoch werde dies alles schöngeredet. Die Nachteile für die Bevölkerung seien gering. Durch die unterirdische Bauweise bekomme die Bevölkerung praktisch nichts mit. Ein Bahnchef drückte es so aus:

„Man muss schon den Kopf in den Gulli stecken, um von der unterirdischen Bautätigkeit was mitzubekommen.“

Die Realität in Stuttgart sind aber seit mehr als 10 Jahren weite, sich häufig ändernde Umleitungen für Fußgänger und Autofahrer – eine Großbaustelle direkt in der Innenstadt.