Von Karl-Heinz Peil
Inhalt
- Zusammenfassung
- 1. Zur NKV-Methodik
- 2. Der Anlass: NKV-Auskünfte der Deutschen Bahn
- 3. Der NK-Faktor und die Vorgeschichte des Projektes
- 4. Die nordmainische S-Bahn als Alibi
- 5. Widersprüchliche NK-Bewertungen
- 6. Die realen Kosten des Projektes Fernbahntunnel
- 7. Strategie: Mit dem NKV täuschen und verstecken
- Anmerkungen
Zusammenfassung
Beim Projekt Fernbahntunnel Frankfurt ergibt sich zweifellos ein Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) weit unterhalb dem Faktor 1, was unter normalen Umständen ein k.o.-Kriterium für Projekte der Bundesverkehrswegeplanung (BVWP) wäre. Dieses wird jedoch vom Bundesverkehrsministerium (BMDV) und der DB InfraGO geschickt verschleiert bzw. unsichtbar gemacht. Der Trick besteht in einer unzulässigen Bündelung von Einzelprojekten, die aufgrund von deren Historie und realen Abhängigkeiten nicht begründbar ist. Doch selbst damit ergab sich in den Anfängen des Projektes 2018 nur ein NKV von 1,2. Eine „Optimierung“ dieses Wertes ist seitdem nicht erfolgt, stattdessen wurde der NK-Faktor praktisch unsichtbar gemacht.
Nur mit dieser Kommunikationsstrategie der DB InfraGO konnte das Projekt die öffentliche Zustimmung finden. Die mittlerweile zu erwartenden Kostensteigerungen werden im Minimum um den Faktor 3 über den bisher kommunizierten Betrag von ca. 3,6 Mrd. Euro liegen. Eine vergleichbare Vermehrung des ohnehin von Anfang an fragwürdigen gesellschaftlichen Nutzens ist dem gegenüber nicht darstellbar. Ganz im Gegensatz dazu könnte eine aktualisierte, monetäre Bewertung der durch den Tunnelbau verursachten Treibhausgasemissionen den NK-Faktor in den Minusbereich drücken. Damit würde das Projekt gesellschaftlich mehr Schaden als Nutzen verursachen.
1. Zur NKV-Methodik
Die zugrunde liegende Methodik des NKV kann an dieser Stelle nicht detailliert dargestellt und diskutiert werden. Nachfolgende Informationen dienen deshalb nur einem Grundverständnis.
Jedem Bahnprojekt, das über den Bundesverkehrswegeplan (BVWG) des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) angeschoben wird, geht eine Bewertung voraus. Diese erfolgt nach einem standardisierten Verfahren als Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) mit Fokus auf eine Nutzen-Kosten-Analyse (siehe dazu die beiden Folien). Im Ergebnis wird diese mit dem Faktor Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) zusammen gefasst. Als prinzipiell sinnvoll und notwendig werden seitens de BMDV nur solche Projekte angesehen, bei denen dieser Faktor über 1 liegt.
Zugrunde liegt der NKU das Methodenhandbuch zum Bundesverkehrswegeplan 2030 in der Fassung vom März 2016.
Bei Projekten des ÖPNV liegt eine ähnliche Verfahrensweise als „Standardisierte Bewertung“ zugrunde, die sich aber in wichtigen Details von der BVWP-Methodik unterscheidet und im Ergebnis zum Nutzen-Kosten-Index NKI führt. Die aktuelle Fassung (2016+) der Verfahrensanleitung zur „Standardisierten Bewertung“ stammt vom März 2023.
Das NKV ist nicht vergleichbar einer betriebswirtschaftlichen Investitionsberechnung, bei der die kalkulierten Kosten den zu erwartenden Erträgen gegenüber gestellt werden. Bei dem NKV geht es um einen gesellschaftlichen Nutzen, der allerdings nicht von übergreifenden Mobilitätsbedürfnissen, sondern von Verkehrsmitteln als Instrumentarium ausgeht. Demgemäß geht man beim BMDV von diskussionswürdigen Verkehrsprognosen aus, beinhaltend Steigerungen von Personen- und Tonnenkilometern. Die NKV-Bewertung eines Projektes erfasst die prognostizierten Wirkungen unter diesen Prämissen. Es geht deshalb eigentlich um ein „Kostensenkungs-Kostenerhöhungs-Verhältnis“, wie in einer umfassenden Analyse zu dem NKV-Prinzip festgestellt wird (Udo J. Becker: Das Nutzen-Kosten-Verhältnis in der Bundesverkehrswegeplanung – Dresden 2016).
Mit dieser Logik ergibt sich aber auch, dass der NK-Faktor nicht nur einen Wert kleiner als 1 annehmen, sondern sogar negativ werden kann. Das heißt: Anstelle eines realen Nutzens kann sich eine gesellschaftlich schädliche Wirkung ergeben.
2. Der Anlass: NKV-Auskünfte der Deutschen Bahn
Von dem Verfasser wurden bereits Anfang 2022 nach Durchsicht der im November 2021 veröffentlichten Machbarkeitsstudie sieben Einzelfragen an die DB InfraGO (damals noch DB Netz) gestellt. Eine dieser Fragen lautete:
Bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudie am 28.6.2021 gab es (gemäß der vorliegenden Präsentation) keinen Hinweis auf den Nutzen-Kosten-Index. In dem Wikipedia-Eintrag wird jedoch ein Index von 1,2 angegeben unter Verweis auf folgende Quelle:
Lanz: Entwurf des Deutschland-Taktes und bisherige Ergebnisse der Knotenstudien Frankfurt und Mannheim. (PDF) Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 8. Februar 2019. In diesen Vortragsunterlagen heißt es aber auf Folie 17: „Sehr langfristige Lösung mit niedrigem NVK und komplexen Maßnahmen: Optimierung erforderlich!“
Wie ist der aktuelle Stand dieser Bewertung?
Die Antwort der DB Netz[1] lautete:
„Das Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,2 bezieht sich auf den Maßnahmentitel in der Bewertung des Knoten Frankfurt aus dem Jahr 2018 des Bundesverkehrswegeplans 2030. Der Fernbahntunnel Frankfurt ist Teil dieses Maßnahmentitels und mit Kosten in Höhe von 3,6 Mrd.€ (Kostenstand 2018) berücksichtigt. Aufgrund der Komplexität des Projektes Fernbahntunnel Frankfurt wurde zunächst die Machbarkeitsstudie erstellt, um die technische Umsetzbarkeit und den Kostenrahmen des BVWP zu bestätigen. Das NK-Verhältnis ist bis zum Vorliegen einer neuen Bewertung (z.B. im Rahmen des Deutschlandtaktes) maßgeblich für das Projekt Fernbahntunnel Frankfurt. Weitere Untersuchungen und Prüfungen erfolgen durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, z.B. im Rahmen der nächsten Bedarfsplanüberprüfung.“
Aus den Formulierungen dieser Antwort lässt sich entnehmen, dass es sich bei dem NK-Faktor [2] von 1,2 lediglich um einen vorläufigen Wert handelt und dieser damit für den weiteren Planungsprozess nicht relevant ist. Siehe dazu auch das Zitat in der o.g. Fragestellung.
Vom Verfasser erfolgte mit Datum vom 15.12.2024 eine weitere Anfrage, diesmal an das BMDV zwecks Vorlage von:
„Nutzen-Kosten-Analyse auf Basis des dafür zugrunde liegenden Methoden-Handbuches des Ministeriums für das Projekt Fernbahntunnel Frankfurt.
Bezug: Vortragsfolien von Alexander Lanz, Referat E 13 vom 8.2.2019, beinhaltend die Darstellung des Ausbauumfangs für den Knoten Frankfurt (Folie 16) und das NKV-Bewertungsergebnis (Folie 17).“ [3]
Die Beantwortung erfolgte umgehend auf dem Postweg[4] mit dem Hinweis auf einen Eintrag in der öffentlich zugänglichen Datenbank des Projektinformationssystems (PRINS) zum BVWP und ohne weitere Kommentierung.
Der Fernbahntunnel erscheint im Gesamtpaket des Projektinfos mit anderen Ausbaumaßnahmen als fünftes von sieben Einzelprojekten.
Zur Projektbegründung des Maßnahmenpaketes heißt es speziell zum Fernbahntunnel:
„Für den Fernverkehr ist sowohl der Bau von 2 neuen Gleisen zwischen Frankfurt Stadion und Frankfurt Hbf inkl. 3. Niederräder Brücke vorgesehen, als auch ein Fernbahntunnel mit 4-gleisigem Tiefbahnhof unterhalb Frankfurt Hbf zwischen Offenbach-Kaiserlei und der 3. Niederräder Brücke. Somit wird der Fernverkehr vom sonstigen Regionalverkehr getrennt und durch den entfallenden Fahrtrichtungswechsel im oberirdischen Kopfbahnhof gleichzeitig beschleunigt.“
Anzumerken ist noch, dass bei den NKV-Berechnungen zum BVWP auch solche Projekte aufgeführt sind, die auf Basis eines vergleichbar schlechten NKV verworfen bzw. überarbeitet wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Maßnahme
Nicht als vordringlich eingestuft findet man dort aber auch Projekte mit einem vergleichsweise hohen NKV:
- ABS/NBS Karlsruhe – Basel (Antragstrasse) – Projekt 2-005-V01 mit NKV von 3,2
- Teilmaßnahme Neubau Ulm – Augsburg – Projekt 2-041-V03 mit NKV von 2,7
3. Der NK-Faktor und die Vorgeschichte des Projektes
Festgehalten werden kann, dass der NK-Faktor zwar aus einer Vielzahl von Gründen methodisch problematisch ist, jedoch bei der Betrachtung von Einzelprojekten zumindest als Notlösung für eine vergleichende Bewertung anzusehen ist. Schließlich muss jeder Entscheidung für eine Bauplanung zwingend auch eine Priorisierung gegenüber anderen Projekten zugrunde liegen. Nur darum geht es bei der nachfolgenden Kritik.
Ein Blick in die Historie zeigt, dass mit der Etablierung des Gesamtprojektes Frankfurt RheinMain Plus im Jahr 2003 und dessen Fortschreibung im Jahr 2009 die Nordmainische S-Bahn bereits als separates Projekt aufgeführt war, während die „Steigerung der Leistungsfähigkeit des Knotens Frankfurt (Main) Hauptbahnhof (Kernmaßnahme)“ und (separat!) „Entwicklung Frankfurt am Main Stadion“ unter „Sonstige Projekte“ eingeordnet waren.
Aktuell werden auf der Homepage des Gesamtprojektes Frankfurt RheinMain Plus folgende Einzelprojekte aus der o.g. Auflistung geführt:
Inzwischen ist nicht nur der Knoten Frankfurt-Stadion, sondern auch die Nordmainische S-Bahn (seit Ende 2024) im Bau.
Das Projekt Fernbahntunnel Frankfurt wurde im November 2018 vorgestellt. Der Zeitpunkt war seinerzeit geschickt gewählt. Nur wenige Wochen nach Vorstellung des Deutschlandtaktes – der einhellig von der Öffentlichkeit begrüßt wurde – erschien der Fernbahntunnel als dessen notwendiger Bestandteil einleuchtend. Als Kosten wurden dabei ca. 3 Mrd. Euro genannt. Dabei hätte von Anfang an hinterfragt werden müssen: Wenn die Einführung des Deutschlandtaktes (damals) bereits für 2030 vorgesehen war, konnte ein Projekt mit Fertigstellung nach 2040 doch gar nicht wesentlich dafür sein?
Dieser Widerspruch wurde tatsächlich erst im Juni 2021 nach Präsentation der Machbarkeitsstudie durch die DB Netz vom VCD Hessen in einer kritischen Pressemitteilung vom 29.6.2021 zum Projekt thematisiert. Des weiteren heißt es darin zur vorgelegten Machbarkeitsstudie:
„Der VCD Hessen erachtet die Kapazitätserweiterung am Knoten Frankfurt für dringend notwendig und hätte es sehr begrüßt, wenn im Rahmen einer Machbarkeitsstudie auch der oberirdische Ausbau unter Rückkauf und Erweiterung der DB Trassen nachvollziehbar untersucht worden wäre, denn hierin steckt Potential und mit den Summen die der Tunnelbau verschlingt – am Ende werden es weit mehr als 4 Milliarden Euro sein – ließe sich viel bewegen.“
4. Die nordmainische S-Bahn als Alibi
Aufgrund der beim Fernbahntunnel erfolgten NKV-Bündelung wäre es deshalb aufklärerisch, wenn die NK-Faktoren der Einzelmaßnahmen bekannt wären, zumal diese ja bereits mit erheblichem zeitlichem Vorlauf auf den Weg gebracht wurden. Dazu heißt es im Erläuterungsbericht zum Planfeststellungsabschnitt 1: „Die Förderfähigkeit der Nordmainischen S-Bahn konnte in einer Nutzen-Kosten-Untersuchung nachgewiesen werden“.
An die Projektleitung der DB InfraGO erging deshalb seitens des Verfassers folgende Anfrage:
Vorbemerkungen:
Aus dem Erläuterungsbericht zum Planfeststellungsabschnitt 1 in der Fassung vom 1.12.2022 entnehme ich:
„Die Förderfähigkeit der Nordmainischen S-Bahn konnte in einer Nutzen-Kosten-Untersuchung nachgewiesen werden.“
Das Projekt selbst ist im Projektinformationssystem zum BVWP im Bündel mit anderen Teilmaßnahmen im Dossier K-001-V01 aufgeführt. Siehe https://www.bvwp-projekte.de/schiene_2018/K-001-V01/K-001-V01.html
Meine Fragen dazu sind:
1. Gab es eine separate NK-Untersuchung, die vor der o.g. Projektbündelung durchgeführt wurde und ist diese öffentlich zugänglich?
2. Erfolgte eine separate NK-Untersuchung auf Basis des Methodenhandbuches für NK-Untersuchungen gemäß BVWP (in der Fassung von 2016) oder nach der „Standardisierten Bewertung“ für ÖPNV-Projekte?
3. Gab es im Planungsprozess (seit 2014?) Anpassungen in der NK-Untersuchung?
Die Antwort der DB InfraGO (vom Stakeholdermanagement Region Mitte) vom 8.1.2025 lautete:
Nach § 11 Abs. 2 GVFG gelten bei Investitionen in Nahverkehrsvorhaben, die Bestandteil des Ausbauumfangs von Großknotenprojekten oder Maßnahmen für den Deutschlandtakt gemäß der Anlage zu § 1 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes sind und im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans positiv bewertet worden sind, die Voraussetzungen bezüglich Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach § 3 GVFG als erfüllt.
Da die Nordmainische S-Bahn als Bestandteil des Knotens Frankfurt in der Knotenstudie des Bundes enthalten war und positiv bewertet wurde, ist ein Nachweis der Gesamtwirtschaftlichkeit für das Gesamtvorhaben Nordmainische S-Bahn mit seinem Nahverkehrsanteil erbracht. Aus diesem Grund wurde für die Infrastrukturmaßnahme keine separate Nutzen-Kosten-Untersuchung nach dem standardisierten Verfahren erstellt.
Auffällig ist an der erteilten Antwort folgendes:
2. In der Antwort ist von einer „Gesamtwirtschaftlichkeit für das Gesamtvorhaben Nordmainische S-Bahn“ die Rede. Durch die Projektbündelung zum Kontenausbau Rhein-Main handelt es sich aber per Definition der DB InfraGO und des BMDV definitiv nicht um eine Gesamtmaßnahme.
3. Logisch wäre, wenn es zu dem gemäß vorausgegangener Anfrage existierenden Projekt mit der Kennziffer K-001-V01, d.h. dem bereits langjährig geplanten Knotenausbau im Rhein-Main-Gebiet seit Ende 2018 ein Folgeprojekt mit der Kennziffer K-001-V02 geben müsste, d.h. ein um den Fernbahntunnel erweiterter Knotenausbau.
5. Widersprüchliche NK-Bewertungen
Bei dem 2016 verabschiedeten BVWP 2030, in dem der Fernbahntunnel noch nicht enthalten war, wurde für den NK-Faktor die Rolle von Treibhausgasen aufgenommen. Dieses ist bei dem Fernbahntunnel natürlich von besonderer Relevanz. Dazu kann auf das Consultingbüro Vieregg-Rössler verwiesen werden, das im Juni 2023 für den BUND Naturschutz in Bayern eine Expertise zu BVWP-Projekten „nach den Kriterien Plausibilität, Zielerreichung, Effizienz und Umweltauswirkungen mit dem Zweck einer Priorisierung“ vorgelegt hat[6]. Als eine exemplarische Bewertung der CO2-Emissionen bezogen auf den Lebenszyklus (d.h. Bauphase und kalkulatorische Nutzungsdauer) beim Tunnelbau wird das hier behandelte Gesamtprojekt Frankfurt Rhein-Main Plus herangezogen. Zugrunde gelegt wird dabei eine Abschätzung von 800.000 t CO2, die in die Bewertung einfließen. Weiter heißt es dann:
„In der Nutzen-Kosten-Berechnung der Standardisierten Bewertung wird der Schaden einer emittierten Tonne CO2 mit 670 EUR bewertet, bei der Bundesverkehrswegeplanung dagegen in der Anleitung von 2015 mit nur 145 EUR veranschlagt.
Bei Ansatz der niedrigen Kosten entsteht so für den Fernbahntunnel Frankfurt ein einmaliger Schaden von 101,5 Mio EUR, bei Ansatz des höheren Wertes aus der Standardisierten Bewertung von 469 Mio EUR.
Laut volkswirtschaftlicher Nutzen-Kosten-Analyse des Fernbahntunnels Frankfurt plus der weiteren betrachteten Frankfurter Projekte werden 45.216 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart. Die nordmainische S-Bahn umfasst ungefähr ein Drittel der Gesamtprojektkosten. Geht man davon aus, dass auch 1/3 des Nutzens auf dieses Projekt fällt, so werden durch den Fernbahntunnel Frankfurt rund 30.000 Tonnen CO2 pro Jahr durch den Betrieb eingespart. Bei einer Gesamtmenge von CO2-Emissionen von 800.000 t muss somit der Fernbahntunnel 800.000 / 30.000 = 27 Jahre betrieben werden, bis das durch den Bau emittierte CO2 durch die Verlagerung vom Pkw- auf den Schienenverkehr wieder eingespart ist.“
Interessant ist bei dieser Betrachtung nicht nur, dass der Fernbahntunnel klimapolitisch kontraproduktiv ist, sondern der Umstand, dass bei rechnerischer Bewertung der CO2-Emissionen wie bei der „Standardisierten Bewertung“ für ÖPNV-Projekte sich ein wesentlich höherer „negativer Nutzen“ ergeben würde.
Bezüglich der zu erwartenden CO2-Emissionen des Fernbahntunnel argumentiert man nun aus der Not heraus damit, dass bei dem Projekt zementfreier Beton und „grüner“ Stahl zum Einsatz kommen würden. Ob damit tatsächlich die klimapolitisch notwendige Reduzierung von CO2-Emissionen voran getrieben wird, muss aber als fragwürdig bezeichnet werden. Dieses ergibt sich aus dazu notwendigen industriellen Vorprozessen, um z.B. „grünen“ Wasserstoff herzustellen. Die hierfür notwendigen Ressourcen müssten aber gleichfalls in die CO2-Bilanz einfließen. Außerdem fragwürdig ist, inwieweit sich diese industriellen Verfahren in den nächsten Jahren zur Marktreife im Sinne von wettbewerbsfähig entwickeln werden[7]. Sicher ist jedenfalls, dass dieses – wenn überhaupt – nur zu wesentlich höheren Kosten möglich wäre. In jedem Fall würden sich das natürlich nicht nur auf die Projektkosten, sondern dem entsprechend auf den NK-Faktor niederschlagen.
Anders formuliert: Die bei dem Fernbahntunnel zu erwartenden CO2-Emissionen machen sich in der NKV-Formel als „negativer Nutzen“ im Zähler bemerkbar, während eine theoretisch mögliche Einsparung sich als drastische Kostenerhöhung im Nenner der NKV-Formel niederschlagen würde. Im Ergebnis wäre das also kein wesentlicher Unterschied.
6. Die realen Kosten des Projektes Fernbahntunnel
Für den offiziell noch existenten NK-Faktor von 1,2 ist nicht nur der ausgewiesene Nutzen aufgrund der Bewertungsmethodik fragwürdig, was an dieser Stelle aber nicht weiter diskutiert werden kann. Vermerkt werden soll dazu nur, dass bis heute keinerlei Alternativen untersucht wurden, die natürlich einen anderen NK-Faktor ergeben hätten. Während der Nutzen (im Zähler der NKV-Formel) deshalb nebulös bleibt, ergibt sich bei den Kosten (als Nenner in der NKV-Formel) ein vergleichsweise eindeutiges Bild.
Bis heute werden die Kosten mit dem Ergebnis der Machbarkeitsstudie vom Juni 2021 kommuniziert, die in der Vorzugsvariante eine Grobkostenschätzung von 3,6 Mrd. Euro beinhaltet. Dass dieser Wert jedoch bereits damals viel zu niedrig angesetzt war, ergibt sich daraus, dass der zugrunde liegende Baukostenindex (von 2015?) an keiner Stelle erwähnt wird.
Die Baunebenkosten wurden gemäß Machbarkeitsstudie mit 19% angesetzt, trotz der dort erwähnten Empfehlung des Planungs-Konsortiums, einen Wert von 25% aufgrund der eindeutig vorhandenen Komplexität zugrunde zu legen.
Auf die Einzelwerte der Schätzkosten[5] erfolgte lediglich ein Risikoaufschlag von 10%. Dass dieses eindeutig schöngerechnet ist, ergibt sich aus einem naheliegenden Vergleich. Für die im Bau befindliche 2. Stammstrecke S-Bahn in München wurden ursprünglich in 2001 582 Mio. Euro erwartet. Bereits 2016 ergab die Kostenrechnung einen Betrag von 3,84 Mrd. Euro und haben sich damit gegenüber diesem Wert bereits 2022 fast verdoppelt auf 7,2 Mrd. Euro.[8] Bereits bei einem Kostenstand unter 2 Mrd. Euro wurde der Risikoaufschlag in ähnlicher Weise praxisfern heruntergerechnet. (Quelle: Christoph Engelhardt – Wikireal.info). Der NK-Faktor wird bei diesem Projekt deshalb nicht mehr veröffentlicht, sondern kann sogar als negativ bezeichnet werden, begründbar mit verkehrlichen Nachteilen.
Doch zurück zum Fernbahntunnel. Bei einem Vertiefungstermin des Dialogforums am 14.11.2024 verwies der Projektleiter Dr. Nolte nach beharrlicher Nachfrage eines Teilnehmers darauf, dass allein die Fortschreibung des Baukostenindex einen Betrag von 6 Mrd. Euro ergebe. Gleichzeitig lehnte er dabei eine aktuelle Kostenbewertung ab, die vor allem die Kosten für die neue Querpassage am Hauptbahnhof berücksichtigen müsse – so die Argumentation von Herrn Dr. Nolte. Diese war jedoch ebenso bereits Gegenstand der Machbarkeitsstudie wie das Überwerfungsbauwerk im Osten für die Y-Anbindung.
Faktisch dürfte aber die extrem komplizierte Zuführung im Osten mit Gleiswechsel und Überwerfungsbauwerk noch zu signifikant höheren Kostensteigerungen führen. Die sich erst jetzt zeigende extreme Komplexität dieses Teilbereiches im Gesamtprojekt wird auch auf den für das Dialogforum erstellten Plakaten ersichtlich.
Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass mit Abschluss der baugenehmigungsfähigen Vorplanung sich eine Kostenberechnung ergibt, die mindestens um den Faktor 3 gegenüber dem bisher noch offiziellen Ansatz liegt. Zwar hat man sich bei dem o.g. Beispiel der 2. Stammstrecke in München zeitweise auch bemüht, eine „mysteriöse Nutzen-Vermehrung“ (Wikireal.info) darzustellen, um den NK-Faktor über 1 zu halten. Was dort aber zum Scheitern verurteilt war, dürfte im vorliegenden Fall des Fernbahntunnels ebenso gelten. Stattdessen wird in den regionalen Medien nach wie vor der Betrag von 3,6 Mrd. Euro für den Fernbahntunnel kommuniziert, so zuletzt in einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 6.1.2025, der einen Gesamtüberblick der von der Bahn im Rhein-Main-Gebiet geplanten Maßnahmen gibt.
7. Strategie: Mit dem NKV täuschen und verstecken
Auch gemäß dem PRINS-Projektinfo gab es explizit keine Prüfung von Alternativen zum Fernbahntunnel. Trotz der Vermischung des Großprojektes Fernbahntunnel mit anderen, kostengünstigeren Maßnahmen ergab sich bereits 2018 ein ungünstiger NK-Faktor von 1,2. Die anderen kostenrelevanten Teilprojekte des Gesamtpaktes sind jedoch unstrittig und bereits in der Realisierungspase. Dieses gilt insbesondere für die seit 2015 geplante nordmainische S-Bahn. Bei den ausgewiesenen Gesamtkosten im PRINS-Projektinfo dürfte der Anteil der nordmainischen S-Bahn bei ca. 1/3 liegen, was deshalb erheblich Auswirkungen auf den gesamten NK-Faktor hat. (Siehe dazu das o.g. Gutachten von Vieregg-Rössler). Aktuell werden die Kosten diesen Projektes von der DB InfraGO mit ca. 2 Mrd. Euro veranschlagt.
Im Unterschied zu zahlreichen anderen Projekten, die im PRINS ausgewiesen sind, wurde aber seit 2018 keine „Optimierung“ des niedrigen NKV vorgenommen. Dieses ergibt sich indirekt auch daraus, dass die Beantwortung der Anfrage des Verfassers vom 15.12.2024 von selbigem Alexander Lanz im BMDV erfolgte, der andernfalls auf entsprechende Änderungen aufgrund seines am 9.2.2019 formulierten Appells zur „Optimierung“ hingewiesen hätte. Bei einigen anderen Projektdossiers im PRINS gibt es derartige Hinweise.
Die im Juni 2021 präsentierte und im Oktober 2021 veröffentlichte Machbarkeitsstudie wurde mit der ausdrücklichen Vorgabe an das Planungskonsortium erstellt, dass die Prüfung der Zulaufstrecken im Osten kein Gegenstand der Prüfung sei. Damit bleiben auch wichtige Detailvarianten und deren Kostenrelevanz mit Einfluss auf den NK-Faktor unklar.
Eine Variantenprüfung des östlichen Zulaufs ist bis heute nur unscharf erfolgt, durch Verweis auf die angebliche Flexibilität der vorgesehenen Y-Anbindung mit dem extrem kostenaufwändigem Überwerfungsbauwerk.
Die Argumentation der DB InfraGO ist aber nach wie vor: Die oberirdischen Maßnahmen im Osten würden nur durch den Fernbahntunnel ihre volle Effizienz erhalten und könnten deshalb nur gemeinsam betrachtet werden. Diese Aussage bezieht sich indirekt natürlich auf den NKV, der aber bewusst als berechneter Wert nicht mehr kommuniziert wird. Stattdessen heißt es bei der DB InfraGO: Leistungssteigerung für den Frankfurter Hauptbahnhof 20 + 5%, d.h. 20% durch den Fernbahntunnel plus 5% durch begleitende oberirdische Maßnahmen.
Anmerkungen
[1] E-Mail der DB Netz vom 8.2.2022 an den Verfasser. Die kompletten Fragen und Antworten sind hier aufgeführt: https://umwelt-klima-rheinmain.net/a-4-fragen-db-netz/
[2] Die Verwendung der Begrifflichkeiten und Kürzel ist in diesem Kontext leider zunächst verwirrend. In den Bewertungen des BVWP werden Nutzen-Kosten-Untersuchungen (NKU) zugrunde gelegt. Als Kernbestandteil erfolgt dabei eine Nutzen-Kosten-Analyse. Das formelmäßige Ergebnis als Quotient von (gesellschaftlichen) Nutzen und geschätzten Kosten zur Realisierung wird als Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) bezeichnet. Demgegenüber wird aber bei ÖPNV-Projekten das bundeseinheitliche Verfahren der „Standardisierten Bewertung“ eingesetzt. Die Ergebnisdarstellung erfolgt hierbei mit einem Nutzen-Kosten-Indikator (NKI).
Da es in vorliegender Ausarbeitung primär um das rechnerische Ergebnis geht, wird vom Verfasser der Begriff NK-Faktor als Synonym für NKV verwendet. (Siehe dazu auch die ähnliche Umschreibung mit NKF unter: https://wikireal.info/wiki/2._Stammstrecke_M%C3%BCnchen)
[3] Die genannten Vortragsfolien sind im Netz zwar nicht mehr an der Originalquelle, aber über die sog. WaybackMachine noch archiviert und abrufbar unter https://web.archive.org/web/20190217084931/https://www.rhein-main-rhein-neckar.de/meldungen/bund-stellt-ergebnisse-der-knotenuntersuchungen-vor.html?file=files/page/02_Buergerbeteiligung/190208_Vortrag_Beteiligungsforum_D-Takt_Knotenbewertung.pdf
[4] Die Anfrage erfolgte unter Nutzung der Plattform „Frag den Staat“. Das komplette Schreiben und die Kopie des Antwortschreibens können hier eingesehen werden: https://fragdenstaat.de/anfrage/nkv-berechnung-fuer-projekt-fernbahntunnel-frankfurt/
[5] Übliches Verfahren im Bauwesen sind Kostenberechnungen durch Aufgliederung nach Einzelgewerken und Untergruppen (DIN 276), für die jeweils Erfahrungswerte als Baukostenindex herangezogen werden. Nach dieser Systematik erfolgte auch die Kostenschätzung in der Machbarkeitssstudie für den Fernbahntunnel.
[6] Quelle: http://www.vr-transport.de/archiv/VR-Bayerische-Projekte-Schiene-26-6-2023.pdf In dem Text wird das Methodenhandbuch von 2015 zitiert. Von diesem gibt es zwar eine aktualisierte Fassung von 2016, jedoch ohne Änderung an den hier relevanten CO2-Kosten.
[7] Die unsinnige Darstellung der DB InfraGO zur „Nachhaltigkeit“ des Fernbahntunnel-Projektes wurde von dem Verfasser bereits an anderer Stelle detailliert behandelt. Siehe: https://umwelt-klima-rheinmain.net/takt-vor-tempo/fbt-argumente-dbinfrago/#3_Nachhaltigkeit_des_Projektes
[8] Zu dieser Kostenerhöhung der 2. Stammstrecke hat u.a. der zusätzliche Aufwand für einen separaten Rettungstunnel beigetragen. Auch in Frankfurt ist die mangelhafte Brandsicherheit ein Thema, das erhebliche Mehraufwendungen erfordert, um auch nur eine halbwegs vertretbare Brandsicherheit zur Personenrettung im Tunnel zu gewährleisten. Siehe dazu:
Christoph Engelhardt, Hans Heydemann, Karl-Heinz Peil: „Fachtechnische Bewertung des Brandschutzes in der Machbarkeitsstudie der Deutschen Bahn zum Fernbahntunnel Frankfurt a.M.“
unter https://umwelt-klima-rheinmain.net/materialien/fbt/brandschutz/