2. Grundlagen für Rettungskonzepte im Brandfall

Fachtechnische Bewertung des Brandschutzes in der Machbarkeitsstudie der Deutschen Bahn zum Fernbahntunnel Frankfurt a.M.

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Nachfolgende Übersicht dient dem grundlegenden Verständnis der Thematik, wie sie in der DB-Studie abgehandelt wird.1

2.1 Gründe für Feuerwehreinsätze

Feuerwehreinsätze können auch bei Szenarien ohne Brandereignis erfolgen, z.B. zwecks Evakuierungen aus entgleisten Zügen.

ICE-Brände sind relativ häufig und umfassend dokumentiert2. Allein deutschlandweit wurden in dem Zeitraum von 1972 bis 2017 über 63 solcher Brandereignisse in Tunneln von Bahnanlagen erfasst, davon 17 Fälle (27 %) mit Personenschäden, zumeist Rauchvergiftungen und somit einer gesundheitlichen Schädigung. Betroffen waren davon insgesamt 113 Personen.
In Anhang 1 sind ausgewählte Brandereignisse im Bahnverkehr aus dem Großraum Frankfurt Rhein-Main aufgeführt.

In nahezu allen Fällen sind diese Brände auf technische Mängel zurück zu führen, die wiederum wesentlich durch eine unzulängliche Instandhaltung bedingt sind. Die Probleme mit den unzureichenden Ressourcen in den Bahn-Ausbesserungswerke sind überwiegend bekannt und werden sogar durch Bahn-Mitarbeiter („Whistleblower“) als noch gravierender dargestellt, als dieses nach außen hin kommuniziert wird.3

Prinzipiell erhöhen Gefällstrecken die Belastung der Technik und für den Fernbahnhof Frankfurt wurde mit einem Gefälle von 25‰ die Neigung doppelt so hoch gewählt wie standardmäßig auf Hauptstrecken zulässig. Hinzu kommt die Funktion von Frankfurt Hbf Tief als Halt für ICEs, die zuvor die Neubaustrecke Köln-Rhein/Main befahren haben. Diese Strecke weist Steigungen bis zu 40 ‰ auf, die eine enorme Belastung der Technik mit sich bringen. Statistisch betrachtet führt das bei ICEs zu einer mehr als doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit für Brände an antriebsnaher Technik während oder kurz nachdem sie eine solche Steigungsstrecke befahren haben.4

Als typische Brandereignisse, die auf das Nutzerverhalten zurück zu führen sind, können Schwelbrände durch Zigarettenstummel in Abfallkörben angesehen werden.

Ein noch immer häufiger Brandfall-Einsatz der Feuerwehr ist die Anfälligkeit von automatischen Feuermeldern gegen Fehlalarme. Obwohl die Sensorik dieser Melder mittlerweile sehr ausgereift ist, um Rauchpartikel eines Schwelbrandes von anderweitig aufgewirbelten Luft-Aerosolen unterscheiden zu können, gibt es dennoch in relevantem Umfang dadurch verursachte Fehlalarme.

2.2 Anwendung von Sicherheitsstandards

Maßgebend für die Sicherheit im Brandfall sind technische Richtlinien und Standards. Diese legen häufig Mindestanforderungen fest, geben aber gleichzeitig definierte Schutzziele vor. Zu deren Erreichung ist es dann häufig notwendig, dass die Mindestanforderungen überschritten werden, was beispielsweise bei den internationalen Vergleichstunneln regelmäßig zu beobachten ist.

Für jede Baugenehmigung muss ein Brandschutzkonzept vorgelegt werden, das die Rettung von Menschen aus den von einem Brand betroffenen Bereich in einen (temporär) sicheren Bereich gewährleistet. Dieses betrifft das Vorhandensein und die Kennzeichnung von Notausgängen, die Länge der Fluchtwege und deren ausreichende Freihaltung von Rauchgasen. Hinzu kommen baulich-technische Vorkehrungen, um eine Ausbreitung von Bränden in andere bauliche Bereiche zu verhindern und den einsatztaktischen Forderungen der örtlichen Feuerwehr zu entsprechen.

Brandschutzkonzepte werden von Sachverständigen als eigenständige Fachplaner erstellt. Projektspezifisch können diese ggf. begründen, warum von sicherheitstechnischen Standards abgewichen werden soll, wenn das vordefinierte Schutzziel z.B. statt nur aufwändig machbarer baulicher Maßnahmen mit technischen Anlagen und/oder organisatorische Maßnahmen realisiert werden kann.

Für Bahntunnel gilt prinzipiell die Eisenbahn-Tunnelrichtlinie. Diese definiert prinzipielle „Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und den Betrieb von Eisenbahntunneln“. Bezüglich der Schutzziele heißt es dort:5

„Abweichungen von dieser Richtlinie sind zulässig, wenn die gleiche Sicherheit auf andere Weise erreicht und dies nachgewiesen wird oder die Einhaltung einzelner Bestimmungen im Einzelfall unverhältnismäßig wäre.“

Auch für Bahntunnel gilt, dass die projektspezifischen Gegebenheiten maßgebend sind, weshalb es in der Tunnelrichtlinie des EBA nur recht allgemein heißt:

„Für Tunnel ist ein Rettungskonzept aufzustellen, das die Selbst- und Fremdrettung gewährleistet.6

Als Mindeststandards sind in der EBA-Tunnelrichtlinie und der TSI-SRT die höchst zulässigen 500 m als Abstand zwischen den Rettungsstollen (Querschläge) vorgegeben; für Not-Ausgänge bei zweigleisigen, einröhrigen Tunneln sogar nur alle 1.000 m. Die Tunnelrichtlinie fordert eine Mindest-Rettungswegbreite von 1,2 m.

Tunnel in anderen Ländern weisen indes deutlich kürzere Abstände zwischen den Rettungsstollen auf: im Eurotunnel (GB/F) sind dies 375 m, im neuen Gotthard-Basis-Tunnel (CH) 325 m, im Guadarrama-Tunnel (ES) und im Öresundtunnel Kopenhagen-Malmö (DK/S) 250 m, im Perthus-Tunnel (E/F) 200 m, im Groene Hart-Tunnel (NL) sind es 150 m. Im künftigen Fehmarn-Belt-Tunnel (D/DK) sind Abstände von 110 m vorgesehen.

2.3 Entfluchtung und Rauchabzug

Für die Rauchausbreitung in einem Tiefbahnhof mit mehreren darüber liegenden Ebenen ergeben sich zahlreiche komplexe Einzelszenarien bei Brandereignissen. Dieses betrifft das Zusammenwirken von mehreren Faktoren:

  • Bahnsteigbreite und deren Einengung durch Rolltreppen und Aufzüge

  • Rauchausbreitung in die offenen Ebenen über dem Tiefbahnhof, was durch Modellversuche oder Simulationen untersucht werden kann

  • Platzierung von Entrauchungsventilatoren und deren strömungstechnische Dimensionierung, wobei eine wahlweise Nutzung als Zuluft- oder Abluftventilator nur bedingt möglich ist

  • feuerbeständige, bauliche Ausführung von notwendigen Technikräumen und Entrauchungskanälen und dessen Berücksichtigung in der Baustatik

  • ergänzende Installation von Rauchabtrennungen (Rauchschürzen) von Teilbereichen, die baulich nicht feuerbeständig geschützt werden können

  • technische Steuerung von Entrauchungsanlagen und Rauchabtrennungen über eine Brandfall-Steuermatrix

Feuerwehraufzüge und Nutzung weiterer Aufzüge

Es gehört zu den sicherheitstechnischen Standards, dass bei jeder Aufzugsanlage Hinweisschilder „Aufzug im Brandfall nicht benutzen“ angebracht sind. Ein Aufzug kann sowohl durch den Ausfall der Stromversorgung aufgrund des Brandfalles, wie auch durch Verrauchung zur Todesfalle werden. Nach Auslösung eines Brandalarms werden deshalb alle Aufzüge automatisch in eine vordefinierte Endstation gefahren und damit stillgelegt. Ausgenommen davon sind Feuerwehraufzüge, die i.d.R. mit Schlüsselschaltern von Feuerwehr-Einsatzkräften genutzt werden können, damit diese schnell an den Brandherd vordringen können.

Ein Hauptkriterium für die bautechnische Ausführung von Feuerwehraufzügen ist hierbei, dass ein feuerbeständiger und rauchdichter Aufzugvorraum vorhanden ist und eine direkte Anbindung an ein Nottreppenhaus besteht. Der Aufzugvorraum wäre auch als sicherer Bereich für eine Fremdrettung von mobilitätseingeschränkten Personen (z.B. Rollstuhlfahrer oder Eltern mit Kinderwagen) erforderlich.

Prinzipiell lässt die entsprechende Richtlinie VDI 6017 „Aufzüge – Steuerungen für den Brandfall“ in der Ausgabe von 2015 auch die Option eines Weiterbetriebes von Aufzügen zu, die nicht den vollen Kriterien eines Feuerwehraufzuges entsprechen. In Tiefbahnhöfen wäre dieses aber nur in Verbindung mit den o.g. baulichen Vorkehrungen für mobilitätseingeschränkte Personen an den Stirnseiten von Bahngleisen möglich, da ansonsten deren nutzbare Breite unzulässig eingeschränkt würde. 7

Die Option eines Weiterbetriebes von Aufzügen, die nicht ausdrücklich als Feuerwehraufzüge ausgewiesen sind, ist deshalb auf Bahnsteigen prinzipiell nicht umsetzbar. Maßgebend für diese Bewertung ist die Richtlinie „Aufzug 2022“ des „Arbeitskreises Maschinen- und Elektrotechnik staatlicher und kommunaler Verwaltungen8, in der es dazu explizit heißt:

„Aufgrund des komplexen Sachverhalts ist das Konzept mit gewollter verlängerter Betriebszeit nach VDI 6017 im Standardfall aktuell kaum umsetzbar und daher nicht zu empfehlen.“

2.4 Feuerwehreinsatzplanung

Für alle Sonderbauten ist bereits vor Einreichung der Baugenehmigungsplanung eine Abstimmung mit der Feuerwehr notwendig. Auf der Homepage der Frankfurter Feuerwehr finden sich dazu eindeutige Hinweise.9 Dabei geht es in der Anfangsphase zur „Machbarkeit“ eines Bauvorhabens darum,

dass wir die von Ihnen bis zum Zeitpunkt der Beratung durchgeführte Planung auf Plausibilität und auf Kompatibilität mit den Belangen des vorbeugenden und des abwehrenden Brandschutzes hin prüfen. Darüber hinaus können Ideen und Vorschläge zu bislang ungelösten Problempunkten erarbeitet werden, z. B. zur Ausgestaltung der Flucht- und Rettungswege oder zur Entrauchung.

Des weiteren heißt es unter „Gründe für ein frühzeitiges Beratungsgespräch“:

Ein frühzeitig geführtes Beratungsgespräch trägt wesentlich zur Planungssicherheit bei. Sowohl Planer und Planerinnen als auch Bauherren und Bauherrinnen erhalten eine Aussage darüber, ob die Planung den Anforderungen aus brandschutztechnischer Sicht genügt – hier insbesondere des abwehrenden Brandschutzes. […]
Ist die Planung aus brandschutztechnischer Sicht zunächst nicht genehmigungsfähig, steht dann für eine Anpassung der Planung und die Erarbeitung von Sonderlösungen noch ausreichend Zeit zur Verfügung. Je weiter die Planung bereits fortgeschritten ist, desto komplizierter und spezieller können die eventuell erforderlichen brandschutztechnischen Sonderlösungen werden. Dies kann zu Verzögerungen und nicht zuletzt zu unnötigen Mehrkosten führen.

Derartige Vorabklärungen sind aber bei der Ausarbeitung der Machbarkeitsstudie nicht erfolgt. Die für ein Beratungsgespräch mit der Frankfurter Feuerwehr erforderlichen Ingenieurpläne lagen aber bereits Ende 2020 vor.

Gemäß der DB-Leistungsbeschreibung zur Erstellung der Machbarkeitsstudie vom Oktober 2019 bestand eine geforderte Leistung des Ingenieurbüros darin, die Genehmigungsfähigkeit der vorgestellten Optionen mit „Auflistung der entstehenden Betroffenheiten“ zu prüfen.10

Auch nach der öffentlichen Präsentation der Machbarkeitsstudie Ende Juni 2021 und deren Veröffentlichung im Oktober 2021 gab es (bestätigt bis Anfang 2023) keinerlei Gespräche mit der Frankfurter Feuerwehr.

Der Schwerpunkt solcher Vorabstimmungen liegt hierbei jedoch weniger bei der bereits zitierten „Ausgestaltung der Flucht- und Rettungswege“. Dieses ist Aufgabe des Brandschutzplaners, der hierfür in der Regel mit speziellen Vorgaben der Frankfurter Feuerwehr vertraut ist. Zwingend notwendig ist eine solche Vorabklärung der einsatztaktischen Voraussetzungen für die Feuerwehr, damit diese sehr schnell den Brandherd erreichen kann und mit vorliegenden Objektinformationen wie z.B. Einsatzkarten in Brandmeldeanlagen und ggf. Feuerwehr-Einsatzplänen die richtigen Schritte zur Brandbekämpfung einleiten kann.

Notwendig sind auch organisatorische Voraussetzungen, wie z.B. (Feuerwehr-)Schlüssel zum Öffnen von Zugangstoren und -türen für Fahrzeuge und Einsatzkräfte.

Das Ziel von Feuerwehreinsätzen besteht darin, vorrangig Leben zu retten und nach Möglichkeit Sachwerte zu schützen. Eine zentrale Herausforderung ist dabei, dass die Einsatzkräfte selbst keiner vermeidbaren Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt werden dürfen. Deshalb stehen einer städtischen Berufsfeuerwehr für Sonderbauten auch Feuerwehreinsatzpläne zur Verfügung, in denen das Brand­objekt mit den technischen Risiken beschrieben ist. Dazu gehören z.B. Elektroverteilungen und Behälter mit brennbaren Flüssigkeiten. Informationen über diese Objekte sollen sicherstellen, dass die richtigen Löschmittel zum Einsatz kommen, z.B. Löschschäume statt Wasser.

Brennt ein ICE-Triebwagen, so ist in großem Maße der Austritt von Giftgasen möglich. Ölbehälter wie sie z.B. zur Kühlung von Transformatoren in Triebwagen notwendig sind, können in Brand geraten. Außerdem kann ein Triebwagen unter elektrischer Spannung stehen, sofern dieser nicht durch den Lokführer oder durch einen Notfall-Automatismus geerdet wird. Dazu müssen in solchen Fällen besonders qualifizierte Feuerwehr-Einsatzkräfte verfügbar sein.

Größere Industrieanlagen und Flughäfen haben deshalb eine eigene Werkfeuerwehr. Diese sind mit den vorhandenen Risiken vertraut und können deshalb regelmäßig bei Objektbegehungen (als Gefahrenverhütungsschau) den Zustand dieser Risikoquellen überprüfen und ggf. Mängelbeseitigungen veranlassen. Ebenso kann eine Werkfeuerwehr natürlich durch regelmäßige Übungen sich auf spezifische Brandfallszenarien vorbereiten. Hinzu kommt, dass bei einem Brandalarm eine intern abgestimmte Reaktion aller internen und externen Dienste erfolgen kann, z.B. bei großen Bahnhöfen durch Einbeziehung der Leitstelle von DB Station & Services mit Videoüberwachungen.

Werkfeuerwehren waren früher bei der Deutschen Bahn an vielen Standorten vorhanden.11 Zwischenzeitlich wurden aber deren Aufgaben auf die Kommunen übertragen.


Fußnoten

1 Siehe dazu auch die entsprechenden Abschnitte 5.1 bis 5.5 (Seite 100 bis 102) der DB-Studie

3 Siehe dazu Arno Luik: „Schaden in der Oberleitung“ im Vorwort zur Taschenbuchausgabe 2021, in dem er auf Zuschriften von Bahn-Mitarbeitern verweist. Ständig müssten nicht komplett reparierte ICE-Züge wieder auf die Strecke gelassen werden, mangels völliger Überlastung der Bahn-Techniker. Ausdrücklich wurde dem Autor auch bestätigt, dass sich dieses auch auf die Bremsen bezieht. Was dann zur Folge habe, dass die ICE-Züge dann nur mit reduzierter Geschwindigkeit fahren dürften.

5 Richtlinie “Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und den Betrieb von Eisenbahntunneln“, Stand: 01.07.2008, Abschnitt 1.1
Quelle: https://www.eba.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Infrastruktur/Tunnelbau/21_rl_tunnelbau.pdf
ergänzend dazu die Anpassungen der Europäischen Eisenbahn-Agentur zum TSI-SRT-System (Link nicht mehr aufrufbar): https://www.era.europa.eu/sites/default/files/activities/docs/tsi-application-guide_de.pdf

6 Wie vor: Abschnitt 1.3.

7 Für weiterführende Informationen zum Konstrukt des Rettungsaufzuges bzw. Evakuierungsaufzuges siehe https://www.bfb-barrierefrei-bauen.de/aufzuege-im-brandfall/

8 AMEV 2022 – Aufzugsanlagen in öffentlichen Gebäuden, Ausgabe Jan. 2022, Seite 24 |
Quelle: https://www.amev-online.de/AMEVInhalt/Planen/Elektrotechnik/Aufzug%202022/AMEV_Aufzug_01-2022.pdf

10 Leistungsbeschreibung Machbarkeitsstudie, Anlage Nr. 1.0 zum Vertrag Nr. 19FEI42382, Seite 6, Ziffer 4

11 Siehe dazu: [1] „Risiken und Auswirkungen eines Brandes bei Stuttgart 21“, S. 149