2. Hintergrund zum regionalen und bundesweiten Ausbau des Schienenverkehrs

zurück zur Übersicht: Bewertung der Machbarkeitsstudie der DB-Netz zum Fernbahntunnel Frankfurt (Juni / Okt. 2021)

2.1 Chronologie regionaler Konzepte zur Bahn-Infrastruktur

2003 – 2009: Schienen-Verkehrskonzept Frankfurt Rhein-Main-Plus

Das ursprüngliche Konzept ist nicht mehr im Netz verfügbar.1 Darin sind oberirdische Ausbaumaßnahmen beschrieben, die wohl im wesentlichen auch im 2009 erstellten Statusbericht enthalten sind.2

Unter anderen sind dort auf Seite 13 benannt: Ausbaumaßnahmen Südbahnhof und Anbindung 4-spurig an Hauptbahnhof

2016: Bundesverkehrswegeplan 2030

Die vom BMVI beauftragte Machbarkeitsstudie zum Deutschland-Takt (durchgeführt von IGES in Braunschweig 2015) hat gezeigt, dass ein integrierter Taktfahrplan für den Personenverkehr auf dem deutschen Schienennetz betrieblich, technisch und rechtlich realisierbar ist. Zu dessen Umsetzung schlägt die Studie eine fahrplanbasierte Infrastrukturentwicklung mit fokussierten Aus- und Neubaumaßnahmen mit dem Ziel einer bestmöglichen Lösung für den Taktverkehr vor. (Seite 41)

Benannte Maßnahmen Schienenverkehr sind im BVWP 2030:3

  • Lfd. Nr. 2 ABS/NBS Hanau – Würzburg/Fulda – Erfurt
    → ca. 4 Mrd. Euro abhängig von Alternativentscheid Gelnhausen – Mottgers

  • Lfd. Nr. 24 Großknoten (Frankfurt, Hamburg, Köln, Mannheim, München)
    → ca. 2,5 Mrd. Euro

  • Lfd. Nr. 25 Projekte des Potenziellen Bedarfs, u.a. Maßnahmen für Deutschland-Takt
    → ca. 750 Mio. Euro

Als nicht monetär bewertetes Projekt ist dabei als Knoten Frankfurt aufgeführt:4

2 zusätzl. Gleise f. Fernverkehr zw. F/M Stadion u. Abzw Gutleuthof (einschl. 3. Niederräder Brücke), niveaufreie Ein- bzw. Ausfädelung der Vbk Frankfurt-Niederrad – Abzw Forsthaus, 2-gleisiger Ausbau Homburger Damm, Frankfurt (Main) Hbf: Umgestaltung des Vorfeldes und der Bahnsteiganlagen des Hauptbahnhofs einschl. Zulaufstrecken, Anpassung Gleise 1-5, Verlängerung Bahnsteige, Linksbetrieb Frankfurt Hbf – Frankfurt Süd, Umgestaltung Bahnhof Frankfurt Süd auf Richtungsbetrieb, 4-gleisiger Ausbau Abzw Frankfurt Main-Neckar-Brücke – Frankfurt Süd, 4-gleisiger Ausbau Bad Vilbel – Friedberg (Hess) (separate S-Bahn-Gleise), 2 zusätzl. Gleise für S-Bahn F/M Ost – Hanau inkl. Einbindung in den Knoten Hanau (Nordmainische Strecke)

Mai 2017: Konzept für Ausbau der Schienen-Infrastruktur in Hessen

Ausbaupläne für die Netz-Infrastruktur in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Güterverkehrs erfolgten 2017. Darin sind auch die früheren Ausbaupläne des Konzeptes Rhein-Main-Plus enthalten.5 Auf Folie 9 der Präsentation heißt es:

„Neu- und Ausbauvorhaben werden von Beginn an digital und mit Beteiligung der Bürger geplant und umweltgerecht umgesetzt“

Auf Folie 4 ist von Neu- und Ausbau-Projekten mit einem Gesamtvolumen von 12 Mrd. EUR die Rede. Bezüglich des Hbf Frankfurt werden explizit genannt: „Knoten Frankfurt Hbf/Süd und Homburger Damm“. Status im Dezember 2021 ist: Das zweite Gleis auf dem Homburger Damm wurde vor kurzem fertig gestellt und ist jetzt verfügbar. Inwieweit eine 4-gleisige Anbindung des Südbahnhofs voran getrieben wird, ist derzeit unklar. (Siehe dazu Anlage 4). Auf der Homepage der DB Netz zum Fernbahntunnel ist dieses aktuell nicht ersichtlich.6

Nov. 2018: BMVI nimmt Fernbahntunnel in vordringlichen Bedarf des BVWP 2030 auf

Aufgrund der voran gestellten Dokumentation zur Planung der regionalen Netzentwicklung von 2003 bis 2017 ist unklar, auf welcher Basis im Nov. 2018 der Fernbahntunnel als Projekt vorgestellt wurde.

Juli – August 2020: Konzept Deutschlandtakt auf Basis Fernbahntunnel

Siehe dazu die Ausführungen im nächsten Abschnitt 2.2.

28.6.2021: DB Netz stellt Machbarkeitsstudie zum Fernbahntunnel vor

Siehe dazu die Ausführungen im Abschnitt 3. Die komplette Machbarkeitsstudie wurde Mitte Oktober 2021 auf der Homepage der DB Netz zum Fernbahntunnel veröffentlicht.

August 2021: BMVI stellt Abschlussbericht zum Deutschlandtakt vor

Siehe dazu auch den Auszug von Projekten in Hessen für potenziellen Bedarf (Anlage 5)

November 2021: Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung

Siehe dazu auch den verkehrspolitischen Auszug als Anlage 3

2.2 Deutschlandtakt

In einer Vorstellung des Konzeptes vom Dez. 2017 heißt es auf der Homepage des BMVI:

„Basis für einen Deutschland-Takt ist vielmehr ein erweiterter „Fahrplan 2030plus“, der auf den Zielfahrplan 2030 und das Zielnetz des BVWP 2030 aufsetzt und diese um weitere aus dem Fahrplan abgeleitete Maßnahmen (z. B. Maßnahmen des Potenziellen Bedarfs des BVWP, Maßnahmen zur Verbesserung des Nahverkehrs) ergänzt. Das BMVI hat im April 2016 ein Konsortium unter Führung der Fahrplanexperten von SMA und Partner AG mit der Erstellung dieser netzweiten Fahrplankonzepte beauftragt. Damit wird die fahrplanbasierte Infrastrukturentwicklung weiter umgesetzt.
Insgesamt haben die Maßnahmen im BVWP 2030 für den Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur – und damit auch für den Deutschland-Takt – ein Investitionsvolumen von über 42 Milliarden Euro.“

Im dritten und abschließenden Gutachterentwurf zum Deutschlandtakt7 heißt es

auf Seite 57:

„Der 3. Entwurf enthält zudem auf Wunsch der Branche zusätzliche Linien mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 230 km/h. Sie wurden für den Zielfahrplan Deutschlandtakt im Rahmen des Zukunftsbündnis Schiene auf ausgewählten Hauptrelationen angemeldet. Ziel war es, mit günstigem Fahrzeugmaterial SPFV-Angebote für eine preisbewusste Kundschaft am Markt platzieren zu können. Die Trassen gehen über das Mengengerüst des BVWP deutlich hinaus.“

auf Seite 62:

„Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h sind in großer Zahl in Deutschland vorhanden bzw. bestellt, im Deutschlandtakt aber in geringerem Maße erforderlich. Ein Einsatz dieser Fahrzeuge auf Linien mit einer Anforderung von 230 km/h bzw. 200 km/h drängt sich auf und erlaubt die Deckung der Bedürfnisse in diesen Geschwindigkeitsbereichen. Die Flotte an Fahrzeugen mit 160 km/h Höchstgeschwindigkeit in Deutschland erscheint bei dieser groben Abschätzung als auskömmlich.“

Damit wird zumindest indirekt eingeräumt, dass die Fixierung auf Hochgeschwindigkeitstrassen nicht bedarfsgerecht ist.

Seite 73:

„Die Angebotsstruktur des Nahverkehrs im Land Hessen ist im Rahmen des Deutschlandtaktes sehr intensiv ausgeplant und diskutiert worden. …
Konkrete Zielsetzungen der Aufgabenträger sind mehrheitlich umgesetzt, u.a.:
– Stündliche Durchbindung des Hessen-Express Wiesbaden – Frankfurt (Fernbahntunnel)
– Offenbach – Hanau – Fulda – Bebra
– Angebotsanpassung auf der Main-Weser-Bahn und der Strecke Gießen – Siegen mit besseren Knoteneinbindungen und Flügelzugkonzepten“

In der Präsentation des Deutschlandtaktes vom 15.7.2020 heißt es auf Seite 140 zu „Eckpunkte des FV-Entwurfes für Hessen“:

„Führung nahezu des gesamten FV durch den neuen Fernbahnhoftunnel Frankfurt Hbf, der eine infrastrukturelle Ergänzung zum derzeit bestehenden Hbf darstellt “

sowie in der grundsätzlichen Darstellung auf Seite 146:

Grundsätzliche Idee:

  • Neubau des Fernbahntunnels ergänzend zu den oberirdischen Anlagen
  • Führung des Durchgangsverkehrs durch den neuen Fernbahntunnel
  • Kapazitätsgewinn auf den bestehenden Strecken zugunsten des Regionalverkehrs

Auswirkungen auf den Fernverkehr:

  • Entfall des Fahrtrichtungswechsels
  • Fahrzeitkürzung für durchfahrende Reisende von etwa 7 Minuten
  • Geringere Abhängigkeiten mit dem Regionalverkehr
  • Schaffung neuer Verbindungen durch Fv-interne kürzere Anschlüsse im Tiefbahnhof (z.B. halbstündliche Verbindungen von Hamburg und Berlin/Erfurt nach Mannheim)

Nutzung des Fernbahntunnels durch den Regionalverkehr:

  • Nutzung des Fernbahntunnels vom HeEx 5 Wiesbaden – Frankfurt Flughafen – Frankfurt Hbf (Tunnel) – Offenbach – Hanau – Fulda – Bebra als neue schnelle Ost-West-Verbindung im Ballungsgebiet Rhein-Main und damit Entlastung von Frankfurt-Stadion
  • Höhere Kapazitäten für den Regionalverkehr im oberirdischen Bahnhofsteil

Ähnlich wird es im dritten und abschließenden Gutachterentwurf vom 31.8.2021 formuliert. Zusätzlich heißt es dort noch unter Bezug auf die vorliegende Machbarkeitsstudie:

„Der aktuelle Stand der vertieften Machbarkeitsstudie zum Fernbahntunnel Frankfurt bevorzugt eine beidseitige Anbindung an die nordmainische und südmainische Strecke nach Hanau, so dass zusätzliche Ausbauten zwischen Offenbach und Hanau vermieden werden können. Die Planungen zum Deutschlandtakt haben diese Anbindungen bereits vorausgedacht, aber nicht unterstellt, so dass eine entsprechende Anpassung der Angebotskonzepte konzeptneutral möglich ist.“

Im Klartext heißt das: Die aktuellen Planungen zum Deutschlandtakt setzen den Fernbahntunnel voraus, der aber erst nach 2040 zur Verfügung stünde. Dieser Widerspruch zum BVWP2030 (plus) lässt sich nicht auflösen.8

2.3 Darstellung der DB Netz

Auf der Webseite „Fernbahntunnel – Nutzen und Chancen“ findet sich folgender Inhalt: 9

Der Verkehrsknoten Frankfurt

Die aktuelle Situation: Bereits heute fahren ein Drittel aller Fernverkehrszüge in Deutschland den Frankfurter Hauptbahnhof an. Rund 450.000 Pendler und Reisende nutzen ihn täglich als Ziel- oder Umsteigebahnhof und es werden kontinuierlich mehr. Mit täglich rund 1.200 Zügen des Fern- und Nahverkehrs ist der Frankfurter Hauptbahnhof bereits heute an seiner Kapazitätsgrenze angelangt. In Zukunft wird der Schienenverkehr noch weiter zunehmen. Was bedeutet das für den Knoten Frankfurt?

Viele Züge, zu wenig Platz

Die Folge: Durch das hohe Zugaufkommen kommt es zu Engpässen im Zulauf des Hauptbahnhofs. Um den Bahnhof zu erreichen, müssen einfahrende Züge warten oder Umwege nehmen. Damit gehen Zugverspätungen sowie längere Reise- und Wartezeiten einher. Der prognostizierte zukünftige Mehrverkehr kann von der derzeitigen Infrastruktur nicht zusätzlich mit aufgenommen werden.

Warum Fernbahntunnel?

Die Lösung: Um die Kapazitäten im Frankfurter Hauptbahnhof erweitern zu können, muss die Anzahl der Gleise erhöht werden. Aufgrund der dichten innerstädtischen Bebauung ist dies nur durch einen Tunnel mit unterirdischer Station möglich: den Fernbahntunnel Frankfurt. So kann ein Großteil der Züge des Fernverkehrs künftig unterhalb des Kopfbahnhofes eine neue unterirdische Station anfahren. Dadurch werden nicht nur die Engpässe des Fernverkehrs beseitigt, dank der freiwerdenden Kapazitäten können der Nah- und Regionalverkehr flüssiger in den Hauptbahnhof einlaufen und ihr Angebot bei Bedarf erweitern.“

2.4 Grundsatzkritik an Großprojekten der Bahn und Gegenentwürfe

BUND Gutachten zum BVWP

Das Anfang Oktober 2021 vorgestellte Rechtsgutachten10 zum BVWP 2030, das im Auftrag des BUND erstellt wurde, hat zwar schwerpunktmäßig den Fernstraßenausbau zum Inhalt, bewertet aber auch den Ausbau der Schienenverkehrs-Infrastruktur im übergreifenden Kontext. Dazu heißt es bezüglich der CO2-Bilanz von Großprojekten:

„Die Aufaddierung der CO2-Emissionen aus den Verkehrsmodellen der Nutzen-Kosten-Analyse der einzelnen Baumaßnahmen (CO2-Senkungen durch Stauauflösung oder CO2-Erhöhung durch induzierte Verkehre auf diesen Abschnitten) vernachlässigt die Kapazitätserhöhungen in den baulich nicht veränderten Abschnitten des Netzes. …..
Nur durch Einrechnung eines CO2-Senkungseffektes durch die Schienen- und Binnenschifffahrtsprojekte von rund 1 Mio. Tonnen wird künstlich eine positive CO2-Bilanz des BVWP erreicht. Dass die Einsparungseffekte aus den Schienenwegen im Planungszeitraum tatsächlich eintreten, ist fernliegend. Denn der Bedarfsplan für die Bundesschienenwege ist nicht ausfinanziert, bspw. gibt es für den 8-10 Mrd. EUR teuren Großknotenausbau nur einen Platzhalter von 2 Mrd. Euro. Die im Umweltbericht behauptete CO2- Absenkung bis 2030 durch den Ausbau der Bahn und der Binnenschifffahrt, die insgesamt zu einem CO2-Minus führen soll, ist nicht belastbar. Bis 2030 wird kein einziger der hoch überlasteten fünf Großknoten der Bahn ausgebaut sein, noch ERTM/ETCS netzwirksam sein. Deshalb kann die Bahn bis dahin keine relevanten zusätzlichen Kapazitäten aufnehmen …..“

Aufruf zur Verdreifachung des Schienenverkehrs bis 2030

In dem Aufruf von Verkehrswissenschaftlern (siehe Anlage 2) werden vier Forderungen formuliert:

  1. Schnellstmögliche Reduzierung von Emissionen im Verkehr durch maximale Verlagerung des Pkw- und Lkw-Verkehrs auf die Schiene,
  2. Leistungssteigernde Tempo-Harmonisierung der Bahn auf allen überlasteten Strecken als Sofortmaßnahme – bei Durchschnittsgeschwindigkeiten im mittleren Tempo (ca. 120 km/h),
  3. Orientierung aller Investitionen an den größten Verlagerungs- und Klimaschutz­potentialen,
  4. Beendigung klimaschädlicher Großprojekte, keine Fixierung auf wenige, teure, lange dauernde Prestigeprojekte der Hochgeschwindigkeit mit vielen Tunnelstrecken und – bahnhöfen.

„Nur mit einem attraktiven Nahverkehr, (Inter)Regionalverkehr und Güterverkehr kann massenhaft Straßenverkehr substituiert werden.“

Weitere Anmerkungen

Das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende formulierte im April 202111 folgende grundsätzlichen Anforderungen an den Bahnverkehr:

„Es braucht bundesweite Bedienstandards für sämtliche Buslinien und Bahnen aller Art in allen Regionen, ähnlich dem Deutschlandtakt im Fernverkehr der Bahn. Dazu gehören Pünktlichkeit, Taktung, Komfort und Platzangebot.“ (Seite 25)

Grundsätzlich sollte man immer davon ausgehen, dass Großprojekte zu Lasten einer Vielzahl von kleineren Projekten gehen. Zur Veranschaulichung dieser Aussage ist vom Verfasser unter Anlage 5 eine Zusammenstellung von 20 Bahnprojekten in Hessen beigefügt, die derzeit als Maßnahmen des potenziellen Bedarfs geführt werden.

Fußnoten und Anmerkungen

1 Eine Bezugnahme darauf erfolgt durch Klaus Gietinger / Frankfurt22 in Vortragsfolien unter http://frankfurt22.de/wp-content/uploads/2021/07/Unter-die-Erde-kommen-wir-noch-frueh-genugNeu.pdf