4. Rettungskonzept für den Fernbahnhof

Fachtechnische Bewertung des Brandschutzes in der Machbarkeitsstudie der Deutschen Bahn zum Fernbahntunnel Frankfurt a.M.

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4.1 Inhaltliche Zusammenfassung der DB-Studie

Abbildung: Planausschnitt Stationstyp A

Der Tiefbahnhof ist hier im Querschnitt von „Typ A“, einer der bevorzugten Stationsvarianten, dargestellt. Der Bahnhof hat zwei Mittelbahnsteige, hier mit 14,75 m Breite. Diese Breite, wie auch die des ebenfalls bevorzugten „Typ I“, unterschreitet die Vorgabe der Leistungsbeschreibung zur DB-Studie, in der es unter „Grundparameter“ unmissverständlich heißt:1

„4 Bahnsteigkanten, wenn möglich 2 Mittelbahnsteige (Bahnsteigbreite gem. Richtlinie 813.0201, mindestens 17 m)“

Insbesondere nach diesem ausdrücklichen Hinweis, dass sich die 17 m aus der Richtlinie ableiten, ist nicht verständlich, warum diese Breite dann in der DB-Studie so deutlich und ohne Begründung unterschritten wird. Vielmehr wäre auf Basis der um ca. 50 % höheren Personenzahlen in den Regionalverkehrszügen gegenüber den bisher in der DB-Studie angesetzten ICEs (Abschnitt 3.2) noch eine höhere Breite erforderlich.

Außerdem lassen sich in obigem Bahnhofsquerschnitt auch die Durchgangsbreiten zwischen Zug und Treppenblock ausmessen. Es ergeben sich 2,25 m Durchgangsbreite an den Außenseiten der Mittelbahnsteige und 4 m an den Innenseiten. Die 2,25 m sind viel zu schmal, um hier die Züge mit einer hohen Passagierkapazität mit bis zu 2.612 Passagieren zu verarbeiten. 3,5 m würden dem Quasi-Standard in internationalen Vergleichsbahnhöfen entsprechen. Für das hier besonders hohe Passagieraufkommen wäre mehr nötig, mindestens die 4 m von der anderen Bahnsteigseite, besser auf beiden Seiten 4,25 m, womit sich wieder die 17 m Gesamtbreite ergeben, die als Mindestmaß in der Leistungsbeschreibung vorgesehen waren.

Zur Selbstrettung sind fünf Treppenanlagen (inklusive Feuerwehraufzug) pro Mittelbahnsteig über die Gesamtlänge von 420 m vorgesehen. Am westlichen Ende des Tiefbahnhofes ist kein Treppenhaus vorgesehen. Die Feuerwehraufzüge befinden sich am östlichen Ende.

Abbildung: Planausschnitt aus Unterlage 6.3.06. Aus dieser Unterlage ergibt sich eine Entfernung von 70 m vom westlichen Ende des Tiefbahnhofes (nicht mehr im Bildausschnitt enthalten) zum nächsten Treppen­bauwerk (links im Bildausschnitt).

Eine mechanische Dauerlüftung ist lediglich für die Technikräume vorgesehen. Eine natürliche Durchlüftung der Bahnsteigebene erfolgt über Schwallbauwerke an den beiden Stationsenden.

Die Löschwasserversorgung erfolgt über Nassleitungen und Hydranten. Auf der B-Ebene (mit kommerziellen Flächen) soll eine Sprinkleranlage installiert werden. Die beiden Mittelbahnsteige sollen jeweils einen Feuerwehraufzug erhalten.

Bezüglich der Entrauchung werden in der DB-Studie aufgeführt:
– Brandszenario 1 – Brand im Verzweigungsbereich / Kreuzungsbereich
– Brandszenario 2 – Brand in Station / Gepäcksbrand am Mittelbahnsteig
– Brandszenario 3 – Brand in Tunnelröhre

Nachfolgend wird die Passage zur Ermittlung der Personenzahl pro Bahnsteig aus der DB-Studie wiedergegeben, die angetragenen Korrekturen und Hinweise werden im nachfolgenden Abschnitt besprochen.

Auszug von Seite 116 aus der DB-Studie, also dem „Erläuterungsbericht zur Machbarkeitsstudie“
vom 22.02.2021 mit angetragenen Korrekturen (siehe Folgeabschnitt).

4.2 Bewertung

Berechnung der Personenzahl

Es überrascht, dass ausgerechnet die für den Brandschutz so zentrale Berechnung der Personenzahl pro Bahnsteig mit so vielen systematischen Fehlern behaftet ist. Allein die Berechnung der letzten Zeile würde 7.918 Personen statt der dargestellten 4.498 Personen ergeben. Aber tatsächlich werden verschiedentlich die Sitz- und Stehplätze durcheinander gebracht. Unzulässig werden mehrfach Werte gewichtet oder vielmehr gemittelt („gew.“, richtiger: „gem.“). Dies widerspricht den Brandschutz-Grundregeln und dem auch in der DB-Studie unmittelbar zuvor zitierten Grundsatz, immer von der „größtmöglichen Personenzahl“ auszugehen.

Grob fehlerhaft ist es aber vor allem, dass ICEs mit 1.730 Passagieren als maßgebliche Belastung angesetzt wurden. Denn wie bereits dargestellt, sind Regionalzüge geplant, die mindestens 2.612 Passagiere in den Bahnhof bringen.

Die korrekte Berechnung nach der EBA-Formel geht also von 2.612 Personen aus, womit sich ergibt:

Pmax = n × ( P1 + P2 ) + P3 = 2,3 × 2.612 = 6.008 Pers.

Aufgrund des Fehlers in der DB-Studie bei dem Ansatz der wartenden Passagiere (siehe Korrektur oben in der Rechnung) schlagen die 50 % mehr Fahrgäste im Zug hier nicht ganz durch auf die Fahrgäste auf dem Bahnsteig. Richtig gerechnet wären dort mindestens um 1/3 mehr Personen anzusetzen als in der DB-Studie zugrunde gelegt.

Kapazitätsanalysen der Treppenaufgänge für die Evakuierung

Mit den geplanten Regionalzügen kommen 1/3 mehr Personen auf die Bahnsteige. Damit sind auch die Treppenanlagen nicht mehr ausreichend für die Evakuierung der Reisenden im Brandfall. Bei gleicher Berechnung wie in der DB-Studie (Seite 166 ff) beträgt nun die Anzahl der für die Evakuierung nötigen Gehspuren

6.008 / 125,2 + 2 = 49,9

also 50 Gehspuren statt bisher 38. Daraus folgt, dass die bisher geplanten 5 Treppenanlagen mit zusammen 40 Gehspuren nicht mehr ausreichen. Zwei zusätzliche Treppenanlagen wären nötig.

Brandfallszenarien und Entrauchung

Prinzipiell kann man den Verfassern der DB-Studie durchaus zubilligen, dass eine Reihe von Einzelfragen erst im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens geklärt werden müssen. Allerdings hätte die DB-Studie bereits auf die Komplexität der Situation im Tiefbahnhof hinweisen müssen (siehe oben im Abschnitt 2.3). Aufgrund von vergleichbaren Projekten ist für die Entrauchungssteuerung mit mehr als 20 verschiedenen Brandfallszenarien zu rechnen, die auch im laufenden Betrieb regelmäßig auf Funktion geprüft werden müssen.

In der DB-Studie für den Fernbahntunnel ist von drei relevanten Brandfallszenarien die Rede, womit Brandentstehungen in einer Tunnelröhre, dem Tunnel-Verzweigungs-/Kreuzungsbereich und in der Station / am Bahnsteig gemeint sind. Dieses ist jedoch eine unzulässige Vereinfachung, da sich für die Steuerung der Entrauchungsanlagen in Verbindung mit Bereichsabtrennungen durch Rauchschürzen eine Vielzahl von sehr komplexen Varianten ergibt, die in einer sog. Brandfallsteuermatrix zusammen gestellt werden muss. Die jahrelangen Bauverzögerungen am Flughafen Berlin-Brandenburg waren im wesentlichen darauf zurück zu führen. Hier bei geht es nicht nur um eine solide fachliche Planung, wozu z.B. auch Brandfallsimulationen im Labor gehören, sondern auch um eine langwierige Inbetriebnahme zum Test der Funktionsfähigkeit und der Beseitigung von erfahrungsgemäß zahlreichen Mängelpunkten. Besonders erschwerend ist hierbei die notwendige, interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachleute aus Ingenieurbüros, Behörden und Prüfungsinstitutionen.

Feuerwehraufzüge und Nutzung weiterer Aufzüge

Feuerwehraufzüge sind an allen Gleisen am östlichen Ende des Tiefbahnhofes vorgesehen, was im vorliegenden Fall wegen des Höhenunterschiedes von 28 m vom Gleiskörper des Fernbahnhofs zur Haupthalle auch notwendig ist.

Der hierfür notwendige Aufzugvorraum ist im vorliegenden Fall auch als sicherer Bereich für eine Fremdrettung von mobilitätseingeschränkten Personen erforderlich. Deshalb muss die gesamte Breite eines Bahnsteiges als Aufzugvorraum genutzt werden. Für darauf angewiesene Personen, die sich am anderen Ende des 420 m langen Bahnsteiges aufhalten, ergibt sich damit auch eine dem entsprechende Distanz. Im ungünstigen Fall eines Brandes im Mittelteil des Tiefbahnhofes würde sogar dieser Fluchtweg für mobilitätseingeschränkte Personen versperrt.

In der DB-Studie wird hingegen ein Weiterbetrieb der pro Bahnsteig vorhandenen vier Aufzüge zur Selbstrettung mobilitätseingeschränkter Personen in Betracht gezogen. In der DB-Studie heißt es dazu unter 5.8.1.3.1. Personenaufzüge (Seite 120):

„In einer ersten konservativen Betrachtung werden die Aufzüge im Brandfall nicht betrieben bzw. benützt. Unter gewissen brandschutztechnischen Vorkehrungen (Verglasung, Brandschutztüren) können die Aufzüge zur Selbstrettung mobilitätseingeschränkter Personen aber kontrol­liert weiterbetrieben werden.“

Diese Überlegungen sind definitiv nicht umsetzbar, wozu auch auf die in Abschnitt 2.3 genannten, grundsätzlichen Probleme hingewiesen wird.


Fußnoten

1 „Leistungsbeschreibung Knoten Frankfurt; Fernbahntunnel inkl. Station unterhalb des Hbf Frankfurt/Main“, Machbarkeitsstudie, Anlage Nr. 1.0 zum Vertrag Nr. 19FEI42382 Knoten Frankfurt; Fernbahntunnel inkl. Station unterhalb des Hbf Frankfurt/Main 208.1412, Stand 31.10.19 (zip archive.org/bieterportal.noncd.db.de Datei „19FEI42382 Anl 1_0 Vorbemerkung_Leistungsbeschreibung.pdf“), S. 6