Was wäre eine vernünftige Bahnpolitik?

Zusammenfassung des Vortrages von Prof. Heiner Monheim am 14.11.2024 im Rahmen der Veranstaltung der Initiative „Takt vor Tempo Rhein-Main“. Die redaktionelle Bearbeitung und textliche Zusammenfassung auf Basis der Video-Aufzeichnung erfolgte von Herbert Storn.

Diskussionsplattformen statt „Dialogforen“

Monheim wartet noch immer auf eine geeignete Diskussionsplattform, auf der sich kritische Fachleute mit der Bahn über Konzepte in Ruhe austauschen können. Dies sei bisher nicht zustande gekommen. „Dialogforen“ o.ä. helfen da nicht weiter.

Es gehe um grundlegende Sachverhalte wie „Flächenbahn“, „Korridorbahn“, Generalsanierungen und Totalsperrungen wichtiger Korridorsysteme.

Die Medien berichteten zu konform, Kritiken seien eher die Ausnahme. Deshalb werden von der „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“ regelmäßig der„Alternative Geschäftsbericht Deutsche Bahn“ erstellt und im Netz veröffentlicht.

Monheim verwies auf die Schweiz, wo er an den Plänen mitgearbeitet habe. Die Schweiz habe den klassischen Großprojekten und Hochgeschwindigkeitsstrecken aus gutem Grund eine Absage erteilt.

„Takt vor Tempo“ thematisieren

Das Beispiel seiner verspäteten Ankunft an diesem Abend in Frankfurt am Main unterstreiche das: so musste er noch eine Viertelstunde im stehenden Zug auf der Mainbrücke warten, bevor der Zug in den Bahnhof rollen konnte. Da nütze es nichts, wenn auf der Strecke 300 km/h gefahren werden, auf den letzten Kilometern aber nur 30 km/h. Die Ertüchtigung der Knoten wurde versäumt.

Monheim erinnerte an die damalige Frankfurter OB Petra Roth, die damals Frankfurt 21 zurecht abgelehnt habe.

Mit Hochgeschwindigkeit müsse kritisch umgegangen werden: Sie sei energieintensiv, teuer und wegen der Strecken problematisch.

Alternativen kämen regelmäßig in den „Giftschrank“: Er selbst habe im Auftrag der Bundesregierung mit anderen ein Alternativkonzept für die Schnellstrecke Hannover – Würzburg ausgearbeitet, das aber im „Giftschrank“ verschwunden sei und über das dann nicht mehr diskutiert werden durfte.

Hochgeschwindigkeitszüge: Wie auf der Autobahn

Bei den Hochgeschwindigkeitszügen sei es wie auf der Autobahn, wenn die Schnellen gegen die Kleineren führen. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten und die Häufung von Verkehr führten bereits in vielen Ländern zu entsprechenden Geschwindigkeitsabsenkungen. Wir brauchen auch im Bahnverkehr eine Harmonisierung der Geschwindigkeiten – von Fern-, Nah- und Güterverkehr. Die lasse sich aber nicht bei 300 km/h erreichen, sondern nur zwischen 160 und 200 km/h. Damit seien wir mit dem Bahnverkehr immer noch zum Straßenverkehr konkurrenzfähig.

Das Argument, die Schnellstrecken sollten den Kurzstrecken-Flugverkehr überflüssig machen, sei untauglich. Denn der Luftverkehr sei das kleinste Problem. Der Autoverkehr sei entscheidend.

Vorrangig: Streckenreaktivierungen

Wir brauchen ein Netz für die rund 100 Großstädte und die 2.700 Klein- und Mittelstädte und die vielen ländlich-urbanen Zentren! Deutschland hatte mal das dichteste Schienennetz in Europa. Das sei aber geplündert worden. 80 Prozent der Güterverkehrsanschlüsse sind abgebaut worden.
Wir brauchen als eine ganz andere Bahn und dafür einen Paradigmenwechsel!“

Dazu gehörten Streckenreaktivierungen und zwar preisgünstig, den alten Schienenbus oder den „Cargo-Sprinter“ mit 6 bis 8 Containern für den Nahbereich. Dann brauchte man Güterbahnhöfe, um die 600.000 bis 800.000 LKW von den Logistikzentren entlang der Autobahnen wegzuholen. Früher hatte jedes Dorf seinen Güterschuppen.

Denn 80 Prozent der LKW-Fahrten finden im Nahbereich statt. Das Gros der Fahrten im Güterverkehr ist der kleinteilige Stückgutverkehr! Mehdorn dagegen wollte nichts mit einer Güterbahnversorgung im Nahbereich unter 400 km zu tun haben. Die Folgen auf den Autobahnen sind jeden Tag zu sehen.

Flächenbahn und „Takt vor Tempo“: Gegen künstliche Flaschenhälse

Das Problem sei nicht die Fahrzeit, sondern das Warten. Zuläufe und Umstiege seien wichtig.

Auch das Umsteigen müsse entdämonisiert werden. Japan sei Weltmeister im Umsteigen, die Schweiz zweiter. Entscheidend sei, dass das Umsteigen auch klappe, also dichte Netze und eine Netzflexibilität.

Wenn schon das Umsteigen in der Münchner Röhre eine Viertelstunde dauere, helfe das weder dem Takt noch den Menschen.

Durch die Tunnelprojekte wie in Stuttgart, München oder vielleicht in Frankfurt schaffen wir künstliche Flaschenhälse!
Dann brauchen wir dringend Bahnvorstände, die Ahnung von der Materie haben.

Bisher wurden vor allem knallharte Sanierer als Bahnvorstände bestellt. Sarrazin habe seine Doktorarbeit über das Hochgeschwindigkeitsnetz angefertigt und von einer großen 8 für Deutschland gesprochen, die Fläche spielte dabei keine Rolle. Bis heute werde die geplante Generalsanierung auf wenige Korridore konzentriert.

Monheim beklagte auch die Verabschiedung von den Nachtzügen durch die DB, die großes Potential hätten. Ein Viertel aller Kfz-Fahrten fänden nachts statt. Stattdessen überlasse man Österreich das Feld.

Mobilität erfolgt im Gesamtsystem!

Notwendig sei ein Gesamtverkehrskonzept, da der Bundesverkehrswegeplan  bisher fast nur auf den Fernverkehr fokussiere. Mobilität finde aber im Gesamtsystem statt.

Die Konsequenz eines vernünftigen Gesamtplans sei ein Moratorium für Großprojekte im Straßenbau, wo gerade Autobahnen auf 8 bis 10 Spuren ausgebaut werden.

Monheim plädierte für 250 neue S-Bahn-Systeme in Deutschland, mit kleineren Fahrzeugen, mit geringeren Kosten, mit Taktverkehr und vielen Haltepunkten.

An den Bahnhöfen zeige sich, ob wir eine Bahnkultur haben. Früher waren das auch Vorzeigeprojekte für Architekten. Dazu gehöre aber auch der entsprechende Service. Warum nur immer unter die Erde?

Dominierend in der Verkehrspolitik: Ministerpräsidenten als „Pharaonen“

Monheim erinnerte an Ministerpräsident Stoiber und seine bekannte Aussage zum Transrapid für den Münchner Flughafen. Oder an den Wahn mit einer Metrorapid für das Ruhrgebiet durch den damaligen Ministerpräsidenten Clement, der schließlich von seinem Nachfolger Steinbrück gestoppt wurde.

Die Bahn gebe Millionen für die Öffentlichkeitsarbeit aus, um für Großprojekte zu mobilisieren. Diese monopolisierten die notwendigen Planungs- und Investitionskapazitäten. Und die politische Aufmerksamkeit mache die Ministerpräsidenten zu „Pharaonen“.

Der Deutschlandtakt habe 30 Jahre gebraucht, um als Idee bei den Entscheidungsträgern anzukommen. Er war eine Erfindung für den Nahverkehr. Jetzt werde er pervertiert!

Monheim versteht nicht, dass die Republik nicht deswegen aufschreit, dass bei den Pharaonenprojekten die Milliarden versenkt werden wie beim geplanten 20-Milliarden-Projekt Fernbahntunnel Frankfurt – stattdessen gucken alle in die Röhre. Und im Rest der Republik wird nichts getan, um die Netze in Ordnung zu bringen.

So habe er auf seiner Herfahrt zu dieser Veranstaltung eine halbe Stunden im ICE vor Fulda gestanden, weil ein Güterzug im Weg stand. Es fehlte wie so oft an Weichen.

Weichen, Weichen, Weichen!“ Das sei das Gebot der Stunde. Sie erhöhen die Kapazität und die Flexibilität. Die Schweiz habe pro Schienenkilometer viermal so viele Weichen wie Deutschland. Aber Weichen seien teuer. Und der Tunnelbauer Herrenknecht könne daran nicht verdienen. Der frühere Bahnchef Mehdorn habe sie brutal aus dem System genommen.

Die gegenwärtigen Vollsperrungen bezeichnete Monheim als „Selbstmord auf Raten“. Bei mehreren Gleisen müsse und könne eine Sanierung schrittweise erfolgen.

Plädoyer: Mit wachen Augen an die Themen herangehen!